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Urteil (III ZR 183/17) vom 12. Juli 2018 des deutschen Bundesgerichtshofes: Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar. 

Um zur Publikation von Prof. Niko Härting und Seda Dinc aus Berlin zu gelangen, klicken Sie hier.

Sachverhalt

Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren verstorbenen Tochter und neben dem Vater Mitglied der Erbengemeinschaft. Die Beklagte ist die Betreiberin eines sozialen Netzwerks, über dessen Infrastruktur die Nutzer miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte austauschen können. Die Tochter der Klägerin unterhielt ein Benutzerkonto im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk der Beklagten. Aus bisher ungeklärten Umständen verstarb die Tochter infolge eines U-Bahnunglücks.

Die Klägerin versuchte hiernach erfolglos sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Weil die Beklagte es inzwischen in den sog. Gedenkzustand versetzt hatte, war der Zugang auch mit den Nutzerdaten nicht mehr möglich obwohl die Inhalte des Kontos weiterhin bestehen blieben.

Die Klägerin beanspruchte von der Beklagten, den Erben Zugang zum Benutzerkonto zu gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe und um Schadensersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.

Entscheidung und Begründung des Bundesgerichtshofs

Die Erben haben gegen die Beklagte den Anspruch auf Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. Der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Klägerin und der Beklagten, geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben über. Die Verderblichkeit ist weder durch die vertraglichen Bestimmungen noch durch die Nutzungsbedingungen ausgeschlossen. Zudem wurden die Klauseln zum Gedenkzustand nicht wirksam in den Vertrag einbezogen. Ausserdem halten sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und wären daher unwirksam.

Aus dem Wesen des Vertrags ergibt sich ebenfalls keine Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses, denn dieser ist nicht höchstpersönlicher Natur. Der höchstpersönliche Charakter kann nicht aus dem im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der Erblasserin abgeleitet werden, obwohl der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgt, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten beschränkt sich jedoch nur auf das bestimmte Konto und nicht auf die bestimmte Person. Der Absender einer Nachricht kann dementsprechend nur darauf vertrauen, dass die Beklagte sie ausschliesslich für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es besteht aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Kontozugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden. Gleichwohl muss bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses gerechnet werden.

Nach der gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. So werden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt. Deswegen besteht aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.

Einen Ausschluss der Verderblichkeit auf Grund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin wurde ebenfalls verneint.

Auch das Fernmeldegeheimnis wurde nicht verletzt, weil der Erbe vollständig in die Position des Erblassers eintritt und somit nicht als «anderer» im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG gilt.

Schliesslich ist der Anspruch der Klägerin auch DSGVO-konform, da diese nur die datenschutzrechtlichen Belange lebender Personen schützt. Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner der Erblasserin ist sowohl zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kommunikationspartnern der Erblasserin als auch auf Grund berechtigter überwiegender Interessen der Erben erforderlich.

Quelle: Bundesgerichtshof.de