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Einleitung

Im Spannungsfeld zwischen KI-Systemen und Urheberrecht rückt eine zentrale Frage ins Blickfeld: Dürfen Fotografien, Illustrationen oder andere visuelle Inhalte zum Training von Algorithmen verwendet werden, und wenn ja, unter welchen rechtlichen Bedingungen?

Erstmals hat sich ein oberstes britisches Gericht mit Fragen in diesem Zusammenhang auf substanzielle Weise auseinandergesetzt. Im Verfahren zwischen der Bildagentur Getty Images und dem KI-Entwickler Stability AI fällte der High Court in London am 4. November 2025 ein Urteil, das sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Training generativer KI als auch die Haftung für deren Ausgaben klärt – zumindest in Teilen. Für die Schweiz, deren Regulierung im Urheberrecht durch die Motion Gössi Nr. 24.4596 stark diskutiert wird, wirft das Urteil drängende Anschlussfragen auf. Diese betreffen sowohl den Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material im Trainingsprozess als auch die Notwendigkeit gesetzgeberischer Weiterentwicklungen.

 

Sachverhalt

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand Stable Diffusion, ein KI-System zur Bildgenerierung, das von Stability AI entwickelt wurde. Es erzeugt neue Bilder auf Basis sprachlicher Eingaben und wurde mit umfangreichen Bild-Text-Datensätzen trainiert.

Getty Images warf Stability AI vor, beim Training Millionen Bilder aus dem eigenen Archiv sowie aus jenem der Tochterplattform iStock ohne gültige Lizenz verwendet zu

haben, darunter zahlreiche mit sichtbaren Wasserzeichen wie „Getty Images“ oder „iStock“.

Zudem monierte Getty, dass das KI-System auch synthetische Wasserzeichen erzeuge, die ihren Marken täuschend ähnlich oder sogar identisch seien. Auf dieser Grundlage machte die Klägerin marken- und urheberrechtliche Ansprüche geltend. Das Urteil des High Court fiel differenziert aus: Markenverletzungen wurden nur in wenigen Fällen anerkannt, urheberrechtliche Ansprüche hingegen überwiegend abgewiesen.

 

Markenrechtliche Aspekte

Getty Images stützte sich auf den britischen Trade Marks Act und argumentierte, dass Bilder mit den generierten Wasserzeichen beim Publikum den Eindruck erwecken könnten, es handle sich um Originale oder lizenzierte Inhalte.

Das Gericht prüfte die klassischen Voraussetzungen einer Markenrechtsverletzung: Nutzung im geschäftlichen Verkehr, Verwechslungsgefahr sowie Ausnutzung oder Beeinträchtigung des Markenrufs. Nur in Bezug auf ältere Versionen des Modells erkannte das Gericht eine Verletzung: Auf einigen Bildern erschien das Wasserzeichen „iStock“ in identischer Form.

Für spätere Modellversionen konnte Getty hingegen keine ausreichenden Belege für identische oder verwechselbar ähnliche Wasserzeichen vorlegen. Die Namen erschienen oft fragmentiert oder verändert. Auch die Vorwürfe einer Rufausbeutung oder Verwässerung blieben unsubstantiiert.

 

Urheberrechtliche Aspekte

Primäre und sekundäre Verletzungsvorwürfe

Weitaus komplexer und für die grundsätzliche rechtliche Bewertung bedeutsamer waren die urheberrechtlichen Streitpunkte. Getty Images versuchte, auf mehreren Argumentationsebenen vorzugehen. Im Zentrum stand zunächst der Vorwurf, das KI-Modell sei durch das Training mit urheberrechtlich geschützten Werken ohne Zustimmung der Rechteinhaber unrechtmässig vervielfältigt worden. Dies wurde als primäre Urheberrechtsverletzung im qualifiziert.

Daneben machte Getty geltend, dass das trainierte Modell selbst eine „infringing copy“ darstelle, da es interne Repräsentationen geschützter Werke enthalte, die im Modell gespeichert und technisch rekonstruierbar seien.

 

Das Modell als abstrakte Repräsentation, keine „infringing copy“

Hinsichtlich der Behauptung, das Modell selbst sei eine unrechtmässige Kopie, argumentierte Getty, dass auch digitale Inhalte unter den Begriff des „article“ fallen könnten. Das Gericht stellte jedoch klar, dass Stable Diffusion keine konkreten Bilder oder Werkbestandteile speichert, sondern lediglich numerische Gewichtungen (Weights), welche die Struktur des Modells bestimmen. Diese Gewichtungen seien abstrakt, nicht rekonstruierbar und enthielten keine reproduzierbaren Elemente geschützter Werke. Besonders betonte der High Court, dass eine Abbildung von statistischen Muster oder Wahrscheinlichkeitsverteilungen keine Kopie sind, da sie keine reproduzierbaren Werkbestandteile enthalten.

Infolgedessen könne das Modell nicht als eine „infringing copy“ gelten. Entscheidend war dabei die Feststellung, dass die Modellparameter zu keinem Zeitpunkt eine Kopie

der Trainingsbilder enthalten haben. Reine Exposition gegenüber Trainingsdaten genügt nach Auffassung des Gerichts nicht, um ein Modell als „Kopie“ zu qualifizieren.

 

Fazit: Hürden für urheberrechtlichen Schutz im KI-Zeitalter

Zusammenfassend zeigt das Urteil, dass urheberrechtliche Ansprüche gegen KI-Entwickler derzeit erheblichen Hürden gegenüberstehen. Zentral ist die Klarstellung des Gerichts, dass eine Kopie im urheberrechtlichen Sinne stets ein Element enthalten muss, das das ursprüngliche Werk selbst reproduziert. Rein statistische oder latente Repräsentationen, wie sie bei KI-Modellen entstehen, erfüllen dieses Kriterium nicht.

Technisch bleibt unklar, wie der Werkbegriff auf Modellparameter anzuwenden ist. Solange ein KI-Modell keine rekonstruierbaren Werkbestandteile enthält, lässt sich daraus keine rechtsverletzende Kopie ableiten.

 

Kritik, Ausblick und Bedeutung für die Schweiz

U.E. verkennt der Londoner High Court, dass bereits für die Vektorisierung der Inhalte eine Kopie vorliegen muss. Erst danach können diese gewichtet werden d.h. mit Wahrscheinlichkeiten versehen werden, sei es maschinell generiert oder durch Backward Propagation.

Für die Schweiz verdeutlicht das Urteil den dringenden Handlungsbedarf auf gesetzgeberischer Ebene. Das geltende Urheberrechtsgesetz (URG) enthält keine spezifischen Regelungen zur Nutzung geschützter Werke für das Training künstlicher Intelligenz. Weder der Werkbegriff (Art. 2 URG) noch die Definition der Vervielfältigung (Art. 10 URG) sind bislang auf numerische Repräsentationen oder nicht rekonstruktive Modelle zugeschnitten. Es fehlt an rechtlicher Klarheit, ob und wann eine Kopie oder eine Verwendung im digitalen Raum vorliegt. Die aktuelle Gesetzeslage bietet somit weder Rechtsklarheit für Entwickler noch effektiven Schutz für Rechteinhaber.

 

Quellen