Wie können fehlerhafte Personendaten im ZEMIS korrigiert werden? Drei aktuelle Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts geben Antworten und zeigen, wie das Datenschutzgesetz (DSG) in der Praxis angewendet wird.
Einleitung und rechtlicher Rahmen
Die Integrität von Personendaten ist von zentraler Bedeutung, insbesondere im Kontext staatlicher Informationssysteme. Das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS) bildet die Hauptdatenbank der Schweizer Migrationsbehörden und enthält hochsensible Personendaten von Ausländerinnen und Ausländern, darunter Identitätsmerkmale, Aufenthaltsstatus, biometrische Informationen sowie Verknüpfungen zu anderen amtlichen Verfahren. Die präzise Erfassung und Verarbeitung dieser Daten ist nicht nur verwaltungspraktisch, sondern auch grundrechtlich von herausragender Bedeutung.
Mit der Revision des Schweizer Datenschutzgesetzes (DSG) hat der Gesetzgeber zentrale Prinzipien der Datenbearbeitung, wie die Transparenz, Datenrichtigkeit und Verhältnismässigkeit, deutlich geschärft.
Ein Kernstück der Neuerungen ist das gestärkte Recht betroffener Personen auf Berichtigung ihrer Daten nach Art. 41 DSG. Demnach hat jede Person Anspruch darauf, dass sie betreffende unrichtige Daten berichtigt oder gelöscht werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Die aktuelle Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts greift diese Regelungen auf und präzisiert deren Anwendung auf das ZEMIS. Drei neue Urteile schaffen dabei wichtige Leitlinien zur Auslegung der Rechtslage. Sie betreffen insbesondere die Verteilung der Beweislast, den Umgang mit medizinischen Gutachten sowie die datenschutzrechtliche Bewertung von unklaren oder widersprüchlichen Dokumenten. Ebenso befassen sie sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen individueller Richtigkeitsgarantie und öffentlichem Interesse an einer funktionierenden Datenverarbeitung im Migrationswesen. Damit liefern sie wertvolle Orientierung für Verwaltungspraxis und Rechtsanwendung gleichermassen.
Analyse der Urteile
Urteil des BVGer A-1997/2024 vom 24. April 2025
Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Urteil vom 24. April 2025 (A-1997/2024) über die Frage zu entscheiden, ob das im ZEMIS eingetragene Geburtsdatum eines afghanischen Asylsuchenden zu berichtigen sei. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen seines Asylgesuchs zunächst das Datum 1. Januar 2007 als Geburtsdatum bestätigt, später jedoch die Berichtigung auf 5. September 2007 (bzw. eventualiter auf den 1. Januar 2007) beantragt. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte hingegen gestützt auf ein forensisches Altersgutachten und unter Berücksichtigung widersprüchlicher Angaben den Eintrag auf 1. Januar 2005 angepasst und mit einem Bestreitungsvermerk versehen. Die Beschwerde des Gesuchstellers richtete sich unter anderem gegen diese Änderung. Das Bundesverwaltungsgericht sah die Beweislast für das genaue Geburtsdatum beim Beschwerdeführer als nicht erfüllt an. Die vorgelegten Dokumente lagen nur in Form von Fotografien vor und wiesen eine geringe Beweisqualität auf, nicht zuletzt wegen der bekannten Fälschungsanfälligkeit afghanischer Identitätsdokumente. Die Aussagen des Gesuchstellers zu seinem Geburtsdatum und seiner Biografie waren in sich widersprüchlich, insbesondere in Bezug auf Ausbildungszeiten, Ausreisezeitpunkt und Alter bei der Einreise. Diese Inkonsistenzen wurden durch die medizinische Altersbegutachtung nicht ausgeräumt.
In der Folge wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde vollumfänglich ab. Der Eintrag im ZEMIS bleibt somit bestehen, versehen mit einem Bestreitungsvermerk.
Der Fall beleuchtet die komplexe Abgrenzung zwischen datenschutzrechtlichen Berichtigungsansprüchen gemäss Art. 41 Abs. 2 DSG und migrationsrechtlicher Sachverhaltsfeststellung im Asylverfahren.
Das Bundesverwaltungsgericht stellt klar, dass das Recht auf Berichtigung unrichtiger Daten nach Art. 41 Abs. 2 DSG ein unbedingtes Individualrecht gegenüber Bundesorganen ist. Dabei liegt die Beweislast für die Richtigkeit der begehrten Datenänderung bei der betroffenen Person, sofern keine Unrichtigkeit der vorhandenen Daten dargetan werden kann. Besonders bedeutsam ist die Feststellung, dass in Fällen, in denen die Richtigkeit weder der alten noch der neuen Daten bewiesen werden kann, eine Weiterverarbeitung nur zulässig ist, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt. In einem solchen Fall ist zwingend ein Bestreitungsvermerk gemäss Art. 41 Abs. 4 DSG anzubringen. Das Urteil hebt zudem die Rolle medizinischer Sachverständigengutachten als zentraler Beweis für die Datenrichtigkeit hervor.
Urteil des BGer 1C_200/2025 vom 13. Mai 2025
Im Urteil 1C_200/2025 vom 13. Mai 2025 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob das im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) eingetragene Geburtsdatum eines weiteren afghanischen Asylsuchenden zu berichtigen sei. Aus Sicht des Bundesgerichts war die zentrale Frage nicht die mögliche Minderjährigkeit, sondern die datenschutzrechtliche Beurteilung, welches von zwei konkreten Geburtsdaten, dem vom SEM eingetragenen und dem vom Gesuchsteller behaupteten, wahrscheinlicher sei. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen seines Asylgesuchs angegeben, am 8. April 2007 geboren zu sein. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trug jedoch gestützt auf ein forensisches Altersgutachten das Datum 1. Januar 2006 ein. Diese Änderung focht der Beschwerdeführer zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht an, das die Beschwerde abwies. Vor Bundesgericht verlangte er die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils sowie die Berichtigung des ZEMIS-Eintrags auf das von ihm angegebene Geburtsdatum. Das Bundesgericht trat nur teilweise auf die Beschwerde ein. Es stellte klar, dass Gegenstand des Verfahrens allein die datenschutzrechtliche Frage des ZEMIS-Eintrags sei, nicht jedoch der asylrechtliche Nichteintretensentscheid, der bereits mit einem separaten Urteil erledigt worden war. Auch auf den Feststellungsantrag wegen angeblicher Verletzung von Grundrechten trat das Gericht mangels eigenständigen Rechtsschutzinteresses nicht ein.
Das Bundesgericht hebt in seinem Entscheid hervor, dass datenschutzrechtliche Berichtigungsbegehren unabhängig von asyl- oder migrationsrechtlichen Verfahren zu beurteilen sind. Diese Trennung stärkt die Autonomie des Datenschutzrechts. Zur Beurteilung der Datenrichtigkeit legt das Gericht das Kriterium der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ zugrunde, was einen pragmatischeren Beweisstandard darstellt. Forensische Altersgutachten werden kritisch gewürdigt: Sie bieten nur dann verwertbare Aussagen, wenn sie konkrete Wahrscheinlichkeitsangaben enthalten. Dokumente wie Identitätskarten oder UNICEF-Impfbücher werden wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit und innerer Widersprüche lediglich als schwache Indizien anerkannt. Im konkreten Fall sei zwar das vom Beschwerdeführer genannte Geburtsdatum theoretisch mit dem Gutachten vereinbar, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit lasse sich daraus jedoch nicht ableiten. Vor diesem Hintergrund hielt es das Bundesgericht nicht für willkürlich, dass das Bundesverwaltungsgericht den Angaben des Gesuchstellers nur geringen Beweiswert beimass und das bisherige ZEMIS-Geburtsdatum mit Bestreitungsvermerk bestehen liess.
Das Urteil bestätigt die gefestigte Praxis zur datenschutzrechtlichen Korrektur von Personendaten im ZEMIS.
Urteil des BVGer F-3197/2025 vom 16. Mai 2025
Im Urteil F-3197/2025 vom 16. Mai 2025 entschied das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit eines Nichteintretensentscheids nach dem Dublin-Verfahren sowie über die Korrektur eines Geburtsdatums im ZEMIS.
Ein afghanischer Beschwerdeführer hatte am 7. Januar 2025 in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht und dabei angegeben, im Jahr 2008 geboren worden zu sein. Aus einem Treffer in der Eurodac-Datenbank ging jedoch hervor, dass er bereits im Oktober 2024 in Frankreich Asyl beantragt hatte, wobei dort ein Geburtsdatum aus dem Jahr 2001 registriert worden war. Trotz Unstimmigkeiten der medizinischen Altersbegutachtung änderte das SEM das Geburtsdatum, versehen mit einem Bestreitungsvermerk und trat nicht auf das Asylgesuch ein, zumal Frankreich als zuständiger Staat angesehen wurde. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid und verlangte die Eintragung des ursprünglichen Geburtsdatums im ZEMIS. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylgesuchstellung minderjährig war und ob daher die Schweiz für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist sowie ob das im ZEMIS eingetragene Geburtsdatum (mit Bestreitungsvermerk) durch das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Datum zu ersetzen ist.
Das Gericht hielt fest, dass bei glaubhafter Minderjährigkeit ohne familiäre Anknüpfungspunkte im EU-Raum die Schweiz zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Es betonte, dass im Rahmen der Altersfeststellung eine Gesamtschau aller relevanten Umstände erforderlich ist, wobei medizinische Gutachten nur ein Indiz darstellen und nicht allein ausschlaggebend sind. Im konkreten Fall befand das Gericht die vom SEM angeführten Zweifel an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht als überzeugend. Die medizinische Begutachtung schloss eine Minderjährigkeit nicht aus und die Aussagen des Beschwerdeführers seien konsistent gewesen. In der Folge wurde die Beschwerde sowohl hinsichtlich des Dublin-Nichteintretensentscheids als auch bezüglich der ZEMIS-Datenänderung gutgeheissen. Das begehrte Geburtsdatum wurde aber nur mit Bestreitungsvermerk im ZEMIS eingetragen.
Auch dieses Urteil bestätigt die eigenständige Prüfungspflicht bei Berichtigungsbegehren. Die Richter betonen die Notwendigkeit einer Interessenabwägung im Einzelfall, die sich auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit der korrekten Daten stützt. Temporäre Speicherung wahrscheinlicherer Daten mit Vermerk wird auch hier als zulässig gewertet, sofern ein öffentliches Interesse besteht. Das medizinische Altersgutachten wird als ein Aspekt unter vielen verstanden, nicht aber als alleinentscheidendes Beweismittel.
Praktische Auswirkungen und Empfehlungen
Die drei Urteile zeichnen ein differenziertes Bild der aktuellen Praxis bei Datenberichtigungen im ZEMIS. Einerseits wird das datenschutzrechtliche Berichtigungsrecht nach Art. 41 DSG deutlich gestärkt: Betroffene haben einen klaren Anspruch auf Korrektur unrichtiger Daten und können die Verwaltung zur Prüfung und Anpassung verpflichten. Andererseits berücksichtigen die Gerichte auch die praktische Notwendigkeit, mit unsicheren, aber wahrscheinlichen Daten zu arbeiten, vorausgesetzt, ein überwiegendes öffentliches Interesse liegt vor und ein Bestreitungsvermerk macht die Unsicherheit sichtbar.
Zentral ist die sorgfältige Bewertung der Beweismittel. Dokumente aus Verwaltungssystemen mit geringer Verlässlichkeit, etwa afghanische Tazkera oder handschriftliche Angaben, gelten nur als schwache Indizien, solange sie nicht widerspruchsfrei und plausibel eingebettet sind. Auch medizinische Gutachten, insbesondere zur Altersfeststellung, entfalten nur dann Beweiskraft, wenn sie auf validierten Methoden beruhen und nachvollziehbare Wahrscheinlichkeitswerte liefern.
Die Rechtsprechung betont damit ein Verfahren, das auf Transparenz, Plausibilität und Gesamtwürdigung beruht. Für die Praxis bedeutet das: Sowohl Antragsteller als auch Behörden müssen ihre Angaben und Entscheidungen sorgfältig dokumentieren, begründen und einordnen.
Fazit und Ausblick
Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts markieren einen bedeutenden Schritt zur Konkretisierung der neuen datenschutzrechtlichen Vorgaben in der Schweiz. Sie schärfen die Anforderungen an die Beweisführung, machen die Rolle medizinischer Gutachten deutlich und stellen klar, dass auch ungeklärte Daten unter bestimmten Bedingungen genutzt werden dürfen – unter Wahrung der Transparenzpflicht.
Zukünftig dürfte sich die Rechtsprechung weiterentwickeln, insbesondere im Hinblick auf technische Fragen der Datenverarbeitung und die Rolle neuer Beweismittel. Die Grundrichtung ist jedoch klar: Datenschutz ist auch im Migrationsrecht ein ernstzunehmendes Individualrecht mit weitreichender Wirkung.
Quellen
- Bundesverwaltungsgericht, Urteil A-1997/2024 vom 24.04.2025
- Bundesgericht, Urteil 1C_200/2025 vom 13.05.2025
- Bundesverwaltungsgericht, Urteil F-3197/2025 vom 16.05.2025
- Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG, SR 235.1)
- Verordnung über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS-Verordnung, SR 142.513)