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Die Schweizer Bundesregierung beabsichtigt, ihre Vorgaben im Bereich der sogenannten nicht-finanziellen Berichterstattung (Nachhaltigkeitsberichterstattung, auch bekannt als „ESG“  [Environmental, Social, and Governance] oder „CSR“ [Corporate Social Responsibility] an die neuen – teils verschärften – Vorgaben der EU anzupassen. Seit Beginn des Jahres 2023 gilt für Unternehmen in EU-Staaten eine strengere Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung. Aus diesem Grund plant der Bundesrat, die entsprechenden Pflichten auch in der Schweiz zu verschärfen und sich damit an EU-Vorgaben anzugleichen. „Internationale Abstimmung“ lautet also auch hier die Devise der Schweizer Bundesregierung.

Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb eine Verschärfung der bereits bestehenden Vorgaben erforderlich ist und welcher zusätzliche Aufwand in der Praxis durch die betroffenen Unternehmen betrieben werden muss.

 

  1. Bestehende Gesetzesgrundlage

Die Bestimmungen aus Art. 964a – 964 c OR verpflichten gewisse Schweizer Firmen bereits heute, jährlich einen Bericht über nicht-finanzielle Belange zu erstatten. Grosse Schweizer Unternehmen müssen seit Anfang 2022 in ihrer Geschäftstätigkeit über die Risiken in den Bereichen Umwelt, Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption und die dagegen ergriffenen Massnahmen berichten. Gemäss Art. 964b OR soll ein solcher Bericht dazu dienen, die Risiken in den genannten Gebieten transparent aufzuzeigen sowie die dagegen unternommenen Massnahmen darzulegen. Mit dieser Regelung hat die Schweiz seit Anfang 2022 einen Grundstein für eine international abgestimmte Gesetzgebung gelegt.

 

  1. Wieso braucht es eine Regelverschärfung in der Schweiz?

Der Bundesrat kann sich trotz bestehender gesetzlicher Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht auf starke Argumente berufen, die Regelungen auch in der Schweiz weiter zu verschärfen bzw. auszudehnen. So ist das EU-Recht im Bereich der nachhaltigen Betriebsführung einer steten Fortentwicklung unterworfen. Der nicht mehr zu leugnende Klimawandel, ein immer lauter werdender Ruf nach nachhaltigeren Unternehmenspraktiken, der sich in geändertem Nutzer- und Konsumentenverhalten äussert, sowie der rasante technologische Fortschritt haben gezeigt, dass der nicht-finanziellen Berichterstattung ein hohes Gewicht zukommt. Unternehmen werden nicht mehr nur an ihrem wirtschaftlichen Ergebnis, sondern vielfach auch an den Auswirkungen ihrer geschäftlichen Aktivitäten gemessen. Das Thema „Nachhaltigkeit“ hat in den letzten Jahren somit an Bedeutung gewonnen. Die Tatsache, dass zahlreiche Schweizer Unternehmen eine gesunde ökonomische Vernetzung mit Firmen aus europäischen Staaten pflegen, oftmals selber schon in EU-Ländern tätig sind oder vom Marktpotenzial der EU profitieren, führt dazu, dass eine Vielzahl von kleinen und mittelständischen Betrieben (KMU) und grossen Konzernen direkt oder indirekt von den EU-weiten Regelungen betroffen ist. Diese Schlussfolgerung lässt sich vor allem auch aus der vom Bundesrat beauftragten und am 19. Februar 2024 durchgeführten Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) zum Nachvollzug der EU-Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (2024) ableiten.

 

  1. Vorgesehene Änderungen

In der Bundesratssitzung vom 26. Juni 2024 wurde eine entsprechende Vernehmlassung zu den neuen Bestimmungen über die Berichterstattungspflichten für Unternehmen eröffnet.

 

Stand heute:

Bislang waren nur Unternehmen betroffen, die:

  • Gesellschaften des öffentlichen Interesses im Sinne des Revisionsaufsichtsgesetzes (RAG) waren;
  • gemäss Art. 964a Abs. 1 Ziff. 2 OR zusammen mit den von ihnen kontrollierten in- oder ausländischen Unternehmen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens 500 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt hatten; und
  • laut Art. 964a Abs. 1 Ziff. 3 lit. a – b OR zusammen mit den von ihnen kontrollierten in- oder ausländischen Unternehmen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens eine der nachstehenden Grössen überschreiten:
    • Bilanzsumme von CHF 20 Mio.
    • Umsatzerlös von CHF 40 Mio.

 

Geplante Neuerungen:

Neu fallen nach den geplanten Neuerungen des Art. 964a Abs. 2 lit- a-c Verordnungsentwurf-OR nun alle Unternehmen, die bestimmte wirtschaftliche Schwellenwerte überschreiten, darunter. Massgeblich ist, dass zwei von drei Schwellenwerten alternativ innert zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren erfüllt sein müssen:

  • 250 Vollzeitstellen;
  • Bilanzsumme von CHF 25 Mio.;
  • Umsatzerlöses von CHF 50 Mio.

Damit werden auch Unternehmen mit weniger als 250 Vollzeitstellen erfasst, wenn sie die beiden anderen Kriterien erfüllen.

Neu werden in der geplanten Gesetzgebung die Begriffe «Umweltfaktoren», «Sozialaspekte», «Menschenrechtsaspekte» sowie «Governance-Aspekte» verwendet und konkretisiert. Die neuen Schweizer Regelungen enthalten weiter keine eigene Drittstaatenregelung wie die EU-Richtlinie. Ausnahmen gelten (analog zum EU-Recht) für kontrollierte Unternehmen, insbesondere wenn ein kontrollierendes Unternehmen einen gleichwertigen Bericht über Nachhaltigkeitsaspekte nach ausländischem Recht erstellt, sowie für Kleinstunternehmen (nicht mehr als 10 Vollzeitstellen, Bilanzsumme von CHF 450’000.00 und Umsatzerlös von CHF 900’000.00). Zu beachten ist hierbei, dass die tieferen Schwellenwerte bei der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung gemäss Art. 963a Abs. 1 lit. 1 a) und b) OR (CHF 20 Mio. Bilanzsumme, CHF 40 Mio. Umsatzerlös) nicht auch für die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung gelten. So kann es also sein, dass ein Unternehmen eine Konzernrechnung erstellen, aber keine Nachhaltigkeitsberichterstattung abliefern muss.

Eine Überprüfung der Berichterstattung kann durch ein externes Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle erfolgen.

Gegenwärtig laufen die politischen Prozesse (öffentliche Vernehmlassung bis zum 17. Oktober 2024), sodass noch nicht absehbar ist, ab wann die Neuerungen tatsächlich in Kraft gesetzt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies zeitnah erfolgen wird. Für die Umsetzung der Neuregelung soll den betroffenen Unternehmen eine Frist von 2 Jahren ab Inkraftsetzung eingeräumt werden.

 

  1. Auswirkungen der neuen Sorgfaltspflichten auf Schweizer Unternehmen

Mit den neuen Vorgaben werden ca. 3’500 weitere Schweizer Unternehmen direkt zur Veröffentlichung von Nachhaltigkeitsberichten verpflichtet. Der Bundesrat geht davon aus, dass bereits heute 3’000 bis 14’000 Unternehmen auch mittelbar von den bestehenden Berichterstattungspflichten betroffen sind. Nach den neuen geplanten Vorgaben werden dies zukünftig bis zu 50’000 mittelbar betroffene Schweizer Unternehmen sein. Die Kosten für die Umsetzung der neuen Vorgaben für die direkt betroffenen Schweizer Unternehmen lassen sich derzeit nicht eindeutig beziffern. Nach der durchgeführten Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) vom 19. Februar 2024 wird jedoch davon ausgegangen, dass sich die Kosten auf rund CHF 620 Mio. pro Jahr beziffern lassen, die Hälfte davon fällt für die externe Prüfung an. Dies liegt massgeblich darin begründet, dass den Unternehmen weitere Regulierungskosten entstehen: sie müssen neue Systeme einrichten, zusätzliches Personal einstellen, mit erhöhten Kosten der jährlichen Revision rechnen; viele betroffene Unternehmen werden zudem externe Berater hinzuziehen (müssen). Alle diese Massnahmen schlagen jährlich wiederkehrend zu Buche. In die vorgenannte Summe nicht eingerechnet sind indirekte Kosten wie Compliance-Risiken infolge Falschaussagen im Nachhaltigkeitsbericht oder unvollständiger Berichterstattung (siehe dazu nachfolgender Punkt 5). Für mittelbar betroffene Unternehmen wird von einem zusätzlichen Kostenaufwand von ca. CHF 13 -61 Mio. pro Jahr ausgegangen. Die Umsetzungskosten müssen von den betroffenen Unternehmen getragen werden.

Im Unterschied zu berichterstattungspflichtigen Unternehmen in der EU wird den betroffenen Schweizer Unternehmen das Recht gewährt, zu entscheiden, ob sie sich bei der Berichterstattung am EU-Standard oder einem anderen gleichwertigen Standard orientieren möchten.

 

  1. Konsequenzen falscher oder keiner Nachhaltigkeitsberichterstattung

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung verweist hinsichtlich Berichterstattung durch die Revisionsstelle auf die Vorgaben zu den Revisionsberichten, Art. 728b OR. Notwendig ist also eine umfassende Berichterstattung an den Verwaltungsrat (VR) als oberstes Leitungs- oder Verwaltungsorgan und eine zusammenfassende Berichterstattung an die Generalversammlung (GV). Der von der Revisionsstelle geprüfte Nachhaltigkeitsbericht muss nach den neuen Regelungen somit sowohl vom VR als auch von der GV genehmigt werden und im letzteren Fall von der GV innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres (Art. 964cter Abs. 2 Verordnungsentwurf-OR). Entsprechend muss der Bericht im Protokoll der Gesellschafterversammlung als Traktandum aufgeführt werden. Der Nachhaltigkeitsbericht selber muss 10 Jahre aufbewahrt werden.

Es ist weiter zu beachten, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung wahrheitsgemäss erfolgen muss. Angaben, die im Bericht gemacht werden, müssen überprüfbar sein und auf Fakten beruhen. Dies wird insbesondere durch die ergänzten Strafbestimmungen ergänzt, wonach falsche Angaben oder die Unterlassung der Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie Verstösse gegen die Aufbewahrungspflicht mit Busse bis zu CHF 100’000 bestraft werden können. Im Zweifel trifft den VR eine solche Busse. Ob und inwieweit ein solcher Verstoss vom Deckungsumfang einer Unternehmens-Haftpflichtpolice gedeckt werden kann, ist im Einzelfall zu prüfen. Es ist aber davon auszugehen, dass den Unternehmen auch hier weitere Kosten entstehen werden.

 

  1. Der Bund kommt den betroffenen Unternehmen entgegen

Der Bundesrat ist sich der potenziellen Zunahme des (teilweise erheblichen) Geschäftsaufwands für Schweizer Unternehmen durch die strengeren gesetzlichen Vorschriften durchaus bewusst. Er hat dazu eine externe Studie in Auftrag gegeben, die die Auswirkungen der EU-Neuerungen auf Schweizer Unternehmen bis Herbst 2024 konkret beurteilen soll (Postulat 23.4062). Nach Vorliegen der Studie sollen weitere Details in Bezug auf die Ausgestaltung der Berichterstattung sowie gegebenenfalls Unterstützungsmassnahmen (Hilfsmittel) festgelegt werden.

 

  1. Unsere Einschätzung

Die Implementierung neuer gesetzlicher Regelungen geht in den meisten Fällen mit finanziellen Aufwendungen für die Betroffenen einher. Je nach Geschäftsmodell werden Unternehmen für die neue ESG-Berichterstattung folglich fortan dazu verpflichtet sein, in nachhaltige(re) Materialien und Technologien zu investieren, zusätzliche Kosten für Audits (intern wie extern) einzuplanen, Schulungen für Mitarbeiter durchzuführen und weitere Compliance-Stellen zu schaffen etc.

In Anbetracht der signifikanten Anzahl von Schweizer Unternehmen, die von den neuen verschärften Regelungen betroffen sein werden, erscheint die Intention des Bundesrats nach Anpassung an die EU-Vorgaben aber durchaus nachvollziehbar. Richtig erscheint auch, dass die Schweiz sich in diesem wichtigen Punkt an die geltenden internationalen Standards angleicht und damit einheitliche Vorgaben für Unternehmen der gleichen Grössenordnung gelten («gleich lange Spiesse für alle»). Zwar ist die Schweiz nicht Mitgliedstaat der EU, sie profitiert jedoch in erheblichem Masse von den Möglichkeiten ökonomischer internationaler Vernetzung. Wichtig ist jedoch auch, dass die Bedürfnisse der betroffenen Schweizer Unternehmen ernst genommen und in der Vernehmlassung angemessen berücksichtigt werden, zumal mit den Verschärfungen – zumindest in den Anfangsjahren – erheblicher zusätzlicher Aufwand verursacht wird. Schon aus diesem Grund ist die Tatsache zu begrüssen, dass die Auswirkungen der geplanten Neuerungen sorgfältig durch die externe Studie geprüft werden sollen.

 

Quellen