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Der Coronavirus wirft Fragen betreffend Vertragserfüllung gegenüber Kunden, Lieferanten und im Verhältnis Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf.

Das neuartige Coronavirus oder 2019-nCoV bringt vorderhand sicherheitspolitische Massnahmen mit sich (1). Damit einhergehen aber auch zahlreiche potenzielle und tatsächliche rechtliche Risiken. Zwei davon stehen national und international im Mittelpunkt und sollen daher im Folgenden beleuchtet werden: (2) Personalfragen und (3)Auswirkungen auf Lieferketten.

 

Sicherheitspolitische Massnahmen

Bisher wurde kein Fall des Coronavirus in der Schweiz bestätigt, so dass das direkte sicherheitspolitische Risiko derzeit  als relativ gering eingestuft werden kann. Das Bundesamt für Gesundheit gibt jedoch an, Bund, Kantone und die Gesundheitsversorgung seien vorbereitet, falls Fälle auftreten sollten. Reisebeschränkungen bestehen noch nicht; von einer Reise in die Provinz Hubei (China) wird aber abgeraten. Das Bundesamt für Gesundheit gibt ausserdem Personen, die sich kürzlich in China aufgehalten haben, ein Sicherheitsdispositiv vor. Im Tessin herrscht indes, im Gegensatz zum Bund, Unruhe, weil in Norditalien 150 bestätigte Coronavirus-Vorfälle vorliegen und täglich 70‘000 Grenzgänger nach Italien pendeln. In Italien bleiben diese Woche Schulen und Universitäten vorsichtshalber geschlossen; in Mailand wurden Fussballspiele abgesagt. Im Gegensatz dazu ist im Tessin einzig in Notaufnahmen der Spitäler vorgesehen, Patienten mit grippeähnlichen Symptomen in Quarantäne zu nehmen. Unterdessen ist es nicht notwendig, Schulen zu schliessen, da im Tessin ohnehin die Fasnachtsferien begonnen haben.

Schaut man über die schweizerische Bundes- und Kantonspolitik hinaus, sind vor allem die Erklärungen der Weltgesundheitsorganisation, deren Gründungsmitglied die Schweiz ist und deren Sitz sich im schweizerischen Genf befindet, relevant. Nach einer Erklärung der Weltgesundheitsorganisation Ende Januar sollten Unternehmen besondere Vorsichtsmaßnahmen, insbesondere zum Schutz ihrer Mitarbeiter treffen.

Personalfragen

Pflichten des Arbeitgebers:

  • Fürsorgepflicht: Arbeitgeber müssen nach dem schweizerischen Obligationen- und Arbeitsrecht ihre Mitarbeiter vor jeglichen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz schützen und die Risiken minimieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, kann er für Schäden, die dem Arbeitnehmer entstehen, haftbar gemacht werden. Um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu gewährleisten, sollten Arbeitgeber geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Infektionsrisiko zu verringern. Dabei kann es sich beispielsweise um unternehmensweite Richtlinien zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder Bereitstellung von Hygieneprodukten, wie z.B. Handdesinfektionsmittel, handeln. Auch bei Geschäftsreisen sollte die Gesundheit und Sicherheit oberste Priorität für Arbeitgeber sein. So haben beispielsweise Grossbanken ihren Mitarbeitenden in China unter anderem die Anweisung erteilt, die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zu befolgen. „Heimkehrer“ werden bei der UBS dazu angehalten, zunächst zwei Wochen lang von zu Hause aus zu arbeiten. Wenn es noch notwendig ist, Mitarbeiter zur Arbeit nach China zu entsenden, sollten Arbeitgeber zunächst den Gesundheitszustand der Mitarbeiter beurteilen. Insbesondere wenn chronische gesundheitliche Grundkrankheiten wie chronische Lungenerkrankungen (einschließlich Asthma) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekannt sind, sollte die Reise aber möglichst unterbleiben. Darüber hinaus sollten die Arbeitgeber die Arbeitnehmer über die Praktiken der Infektionsprävention, wie z.B. persönliche Hygiene und Gesundheitsüberwachung, aufklären und schulen sowie ihnen Geräte wie Masken und persönliche Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sollten sie dafür sorgen, dass am Arbeitsplatz in China Temperaturmessungen durchgeführt werden, und sicherstellen, dass der Arbeitsbereich ordnungsgemäß gereinigt, desinfiziert und belüftet wird.
  • Persönlichkeitsschutz: Ergriffene Präventivmassnahmen können das Recht der Mitarbeiter auf Privatsphäre verletzen. Arbeitgeber sollten daher stets mögliche Präventionsmassnahmen gegen die legitimen Privatsphäre-Interessen der Mitarbeiter abwiegen und die geeignete, erforderliche und zumutbare Massnahme wählen. Beispielsweise kann es eine geeignete Massnahme sein, die Arbeitnehmer obligatorischen Temperaturkontrollen zu unterziehen, wenn das Infektionsrisiko dies rechtfertigt. Die Erfassung von Temperatur- und anderen Gesundheitsdaten eines Mitarbeiters stellt aber grundsätzlich einen Eingriff in ihr Recht auf Privatsphäre ein und darf nur ganz ausnahmsweise zum Schutz der Mitarbeiter erfolgen.
  • Pflicht, Arbeit zur Verfügung zu stellen: Mitarbeiter, die in die Schweiz zurückkehren, können aus verschiedenen Gründen offiziell in einer medizinischen Einrichtung unter Quarantäne gestellt oder gebeten werden, sich zu isolieren. Werden Mitarbeiter in die Quarantäne geschickt, d.h. gebeten, von zuhause aus zu arbeiten, muss beachtet werden, dass die Mitarbeiter ein Recht auf Arbeit haben. Ob und unter welchen Bedingungen ein Unternehmen Mitarbeiter zum Urlaub zwingen kann, hängt daher von der Art der Arbeit, dem jeweiligen Risikograd und dem geltenden Arbeitsvertrag ab.
  • Lohnzahlungspflicht: Bleiben Mitarbeiter aufgrund von Krankheit respektive Quarantäne fern, können Unternehmen verschiedene Optionen für die rechtliche Strukturierung dieser Abwesenheit von der Arbeit in Betracht ziehen. Diese können die Behandlung als bezahlten Krankenausstand, unbezahlten Urlaub oder jede andere einvernehmlich vereinbarte Strukturierung, die nicht gegen geltendes Recht verstößt, umfassen. Wenn Schulen geschlossen bleiben, kann es sein, dass Eltern kurzfristig eine Kinderbetreuung organisieren müssen. Ob die Bezahlung dafür vom Arbeitgeber gewährt wird oder nicht, hängt vom jeweiligen Arbeitsvertrag ab.

Pflichten des Arbeitnehmers

  • Arbeitspflicht bei Quarantäne: Die Quarantäne wird von der Warte des Arbeitgebers rechtlich als gleichbedeutend mit einem Krankheitsurlaub angesehen, einschließlich aller rechtlichen Schutzmassnahmen und Rechte, die dem Mitarbeiter gewährt werden. Eine Quarantäne wird nämlich nur angeordnet, wenn sie zwingend notwendig ist, um Krankheitsausbrüche zu bekämpfen und Epidemien zu verhindern. Für den Mitarbeiter ist die Quarantäne eine gesetzliche Pflicht; er macht sich strafbar, wenn er sie nicht einhält. Der Arbeitnehmer hat dann das Recht (und die gesetzliche Pflicht) von der Arbeit fern bleiben. Der Arbeitnehmer muss in dem Fall die Arbeit auch nicht nachholen. Im Falle einer im Moment üblichen Selbstquarantäne, d.h. einer Quarantäne, die vom Arbeitgeber verschrieben wird, werden aus China zurückkehrende Mitarbeiter gebeten, 14 Tage zu Hause zu bleiben, um den Kontakt mit anderen Personen zu minimieren. Während dieser Zeit dürfen die Mitarbeiter zu Hause arbeiten, sollten aber ihren Wohnort oder den zugewiesenen Ort nicht verlassen. Sie dürfen auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen oder das Land verlassen.
  • Überstundenpflicht: Im Fall des Coronavirus sehen sich Unternehmen, die medizinische Geräte wie Masken und Desinfektionsmittel herstellen, mit einem plötzlichen und drastischen Anstieg der Nachfrage konfrontiert. Infolgedessen müssen bestimmte Mitarbeiter unter Umständen länger arbeiten als vertraglich vorgesehen ist. In der Schweiz sind sie verpflichtet Überstunden zu leisten, falls die Überstunden notwendig und zumutbar sind, physisch und psychisch nicht überfordern und die Arbeits- und Ruhzeiten eingehalten werden. Überstunden werden mit einem Zuschlag von 25% vergütet.

Lieferketten

Das folgende Szenario zeigt, wie weitreichend und komplex die Folgen von internationalen Einreisebeschränkungen für Unternehmen sein können. Ein schweizerisches Unternehmen entsendet einen Mitarbeiter nach China, um die notwendige Wartung an einer Produktionsstätte durchzuführen. Danach wird derselbe Mitarbeiter von einem Kunden in den USA benötigt, um einen Produktionsroboter zu reparieren. Obwohl die Reise nach China nicht in eine stark betroffene Region ging, wird dem Mitarbeiter die Einreise in die USA verwehrt, so dass er den Roboter nicht reparieren kann, was zu einem finanziellen Verlust für den US-amerikanischen Kunden führt. Wie können Unternehmen solche Lieferengpässe vermeiden? Der erste Schritt sollte immer die Prävention umfassen. Erst dann müssen Verträge ausgelegt werden und im Notfall auf das dispositive Gesetzesrecht zurückgekommen werden.

Der erste Schritt – Prävention: Der erste Schritt besteht darin, ihr Geschäft genau zu prüfen und Risiken in der Lieferkette zu identifizieren, die Störungen verursachen könnten. Unternehmen, die in Bereichen mit strengen Fristen oder einer hohen Abhängigkeit von internationalen Arbeiten tätig sind, wie beispielsweise Bauunternehmen, werden sich einem höheren Risiko aussetzen. Eine einfache Vorbereitung kann schon einen grossen Beitrag zur Vermeidung von Problemen leisten, beispielsweise die Organisation eines Lieferantenwechsels. Ebenso ist offene Kommunikation beim Coronavirus-Risiko von grosser Bedeutung. Der Dialog sollte auch die bereits getroffenen oder noch zu treffenden Präventionsmassnahmen umfassen, um die Sicherheit aller in den Risikobereichen tätigen Mitarbeiter zu gewährleisten.

Der zweite Schritt besteht darin, zu prüfen, ob die Unternehmen ihre vertraglichen Pflichten ihren Zulieferern oder Kunden gegenüber erfüllen müssen oder ob sie allenfalls schadenersatzpflichtig sein könnten.

  • Vertragsauslegung: Eine anrufbare Vertragsklausel könnte höhere Gewalt sein. Diese üblichen Vertragsklauseln ermöglichen die Aussetzung oder sogar die Erfüllung gegenseitiger vertraglicher Verpflichtungen aufgrund des Eintritts eines störenden Ereignisses, auf das die betroffene Partei keinen Einfluss hat und auf das sie sich vernünftigerweise nicht vorbereiten konnte. Ob sich eine Partei im Zusammenhang mit dem Coronavirus-Ausbruch erfolgreich auf höhere Gewalt berufen kann, hängt entscheidend vom Wortlaut der einzelnen Klausel ab. Auch die Rechtsfolgen können die Parteien vor schwierige Fragen stellen. Ist eine Reisewarnung der chinesischen Regierung Grund genug, um sich auf höhere Gewalt zu berufen, wenn der Lieferant die Lieferung verweigert? Schweizerische Gerichte sind generell sehr restriktiv, wenn es darum geht, höhere Gewalt zu bejahen, da solche Fälle Ausnahmefälle im Geschäftsbetrieb bleiben sollen. Die chinesischen Behörden haben zwar damit begonnen, Bescheinigungen über höhere Gewalt auszustellen; eine solche Bescheinigung bindet das Gericht aber nicht. Ob höhere Gewalt geltend gemacht werden kann, hängt nicht nur vom Ereignis selbst ab; vielleicht noch wichtiger ist die tatsächliche Auswirkung des Ereignisses auf die beschwerdeführende Partei. Sie trifft nämlich insbesondere eine Schadenminderungspflicht, d.h. sie muss sämtliche Bemühungen unternommen haben, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können, z.B. indem sie sich bemühte, geeignete alternative Käufer für verderbliche Waren zu finden.
  • Dispositives Gesetzesrecht: Wenn ein Vertrag keine entsprechende Klausel über höhere Gewalt enthält oder diese die Situation nicht abdeckt, ist das geltende Recht entscheidend, wobei in einigen Ländern entweder eine eigene Form der höheren Gewalt oder mögliche Alternativen vorgesehen sind, so zum Beispiel im französischen Recht die „Force majeur“ oder im Wiener Kaufrecht die Regelungen um das „impediment“ (Hinderungsgrund). In der Schweiz gibt es, abgesehen vom Wiener Kaufrecht, keine solche Regelung im geschriebenen Recht; das Bundesgericht anerkennt allerdings in Ausnahmefällen die sogenannte „clausula rebus sic stantibus“ (unvorhergesehene Änderungen) wie auch vertragliche Vereinbahrungen, was die Parteien als Force Majeur beurteilen.

Fazit

Trotz des derzeit geringen Risikos, sich in der Schweiz mit dem Coronavirus zu infizieren, sehen sich international tätige Unternehmen, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, gezwungen, Lieferketten, Einreisebeschränkungen und Infektionsherde in der ganzen Welt zu überprüfen, nicht nur ihrer Mitarbeiter zu Liebe, sondern auch zur Sicherung ihrer Lieferketten.

 

Quellen