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Aufgrund zahlreicher Beschwerden über irreführende und aggressive Verkaufspraktiken sah sich das SECO gezwungen, regulatorisch gegen die Online-Plattform Temu vorzugehen. In einem beispielhaften Verfahren setzte sich die Schweizer Wettbewerbsbehörde gegenüber dem international agierenden Anbieter durch und erzwang wesentliche Änderungen. Der Fall Temu steht damit sinnbildlich für die zunehmende Durchsetzung nationaler Verbraucherschutzstandards gegenüber globalen Plattformen – und markiert einen wichtigen Präzedenzfall für den Schweizer Online-Handel.

Der Fall Temu als Weckruf für den Schweizer Online-Handel

Im Jahr 2024 gingen beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zahlreiche Beschwerden von Konsumenten- und Händlerverbänden ein. Ziel der Kritik war die chinesische Online-Plattform Temu. Die Vorwürfe lauteten: irreführende Preisangaben, manipulative Verkaufstaktiken und aggressive Marketing-E-Mails. Nach intensiven Gesprächen mit dem in Irland ansässigen Betreiber Whaleco Technology Limited setzte das SECO durch, dass Temu Anfang April 2025 umfangreiche Änderungen vornahm.

Rechtlicher Rahmen: Lauterkeitsrecht und internationale Zuständigkeit

Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) schützt Konsumentinnen und Konsumenten vor irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken. Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG ist es untersagt, durch unrichtige oder irreführende Angaben über Preise oder Preisvorteile täuschend auf das Marktverhalten von Konsumenten einzuwirken. Auch international tätige Unternehmen wie Temu, die sich explizit an Schweizer Kundschaft richten, unterliegen diesen Vorgaben. Das SECO ist berechtigt, bei festgestellten Verstössen einzuschreiten – auch präventiv und in Kooperation mit ausländischen Anbietern.

Analyse der durchgesetzten Änderungen

Die durch das SECO veranlassten Änderungen auf der Plattform Temu betreffen zentrale Elemente des Online-Marketings und der Verbraucherinformation. Sie sind detailliert darauf ausgelegt, manipulative Praktiken zu unterbinden und die Transparenz gegenüber den Konsumenten erheblich zu verbessern. Im Einzelnen wurden folgende Massnahmen umgesetzt:

  • Transparente Preisangaben: Bisher wurde oft ein durchgestrichener Referenzpreis angegeben, der nicht klar nachvollziehbar war. Künftig muss der angegebene Vergleichspreis, dem zuletzt auf der Plattform geltenden Produktpreis unmittelbar vor der Preisreduktion entsprechen. Dies verhindert künstlich überhöhte Rabatte und täuschende Preisvergleiche. Die Preisbekanntgabeverordnung kennt 2 Varianten des Selbstvergleichs: Der unmittelbar vor der Reduktion geltende Preis darf referenziert werden, oder aber ein länger zurückliegender Preis, wenn er effektiv während 30 Tagen verlangt wurde. Dem E-Commerce-Riesen Temu wurde nun die Möglichkeit des Selbstvergleichs nach 2. Variante blockiert.
  • Offenlegung von Verkäuferinformationen: Die Nutzer erhalten nun Zugang zu vollständigen Informationen über die jeweiligen Anbieter (Name, Adresse, E-Mail). Dies ist insbesondere im Falle von Problemen oder Rücksendungen wichtig und fördert die Nachvollziehbarkeit der Transaktionen.
  • Entfernung manipulativer Designelemente: Interaktive Elemente wie das sog. „Glücksrad“, das emotionale Impulskäufe auslösen sollte, wurden entfernt. Auch psychologisch wirksame Hinweise wie „Nur noch wenige Stücke verfügbar!“ oder „Über 100 Personen haben diesen Artikel im Warenkorb“ wurden überarbeitet oder gestrichen.
  • Neue Standards bei Lagerbestandsanzeigen: Die Anzeige „Fast ausverkauft“ darf nur noch verwendet werden, wenn der Lagerbestand tatsächlich niedrig ist (zwischen 99 und 20 Stück). Ein automatischer Kontrollmechanismus wurde eingeführt, um die korrekte Anwendung dieser Regel sicherzustellen.
  • Überarbeitung der Marketing-E-Mails: Besonders auffällig waren in der Vergangenheit dramatisch formulierte Mails mit Aussagen wie „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen…“ oder „Sie müssen jetzt handeln!“. Diese wurden gestrichen oder entschärft, um Konsumenten nicht emotional oder zeitlich unter Druck zu setzen.

Diese Änderungen stellen einen wesentlichen Beitrag zum fairen Wettbewerb im Onlinehandel dar. Sie stärken das Vertrauen der Konsumenten und zeigen, dass regulatorische Eingriffe auch bei global agierenden Plattformen Wirkung entfalten können. Whaleco hat sich zur dauerhaften Beibehaltung der Änderungen verpflichtet. Das SECO sieht aktuell von rechtlichen Schritten ab, kündigte jedoch an, bei weiteren Beschwerden erneut aktiv zu werden.

Einordnung und Vorgeschichte des Falls Temu

Bereits im Mai 2024 reichte die Swiss Retail Federation eine formelle Beschwerde beim SECO ein. Diese basierte auf umfassender Kritik von Konsumenten- und Händlerverbänden, die unter anderem irreführende Preispraktiken, emotionale Verkaufsanreize sowie mangelnde Transparenz bei Produktinformationen betraf. Daraufhin lud das SECO im September 2024 Vertreter von Temu – genauer des irischen Unternehmens Whaleco Technology Limited – zu Gesprächen in seine Räumlichkeiten in Bern ein. Dieser Schritt war von besonderer Bedeutung, da er verdeutlichte, dass auch internationale Online-Plattformen mit Schweizer Bezug in den Zuständigkeitsbereich der heimischen Wettbewerbsaufsicht fallen. In diesen Gesprächen wurden Temu die wesentlichen Anforderungen des Schweizer Lauterkeitsrechts dargelegt und ein Katalog an notwendigen Anpassungen erörtert. Als erste Reaktion änderte Temu seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, um Schweizer Rechtsstandards abzubilden. Diese frühen Massnahmen ebneten den Weg für die im April 2025 umgesetzten Änderungen.

Die Schweizer Aufsichtsbehörden ziehen damit im europäischen Kontext nach, denn auch in der Europäischen Union werden Transparenzpflichten im Online-Handel verstärkt durchgesetzt. Mit der Omnibus-Richtlinie (EU) 2019/2161 wurden neue Anforderungen eingeführt, insbesondere bei Preisermässigungen: Anbieter müssen den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage angeben und so klar kommunizieren, wie sich der Preis entwickelt hat.

Warum Temu in der Schweiz wiederholt negativ aufgefallen ist

Temu stand in der Vergangenheit mehrfach in der Kritik. Die Plattform fiel auf durch:

  • Massive Werbung mit vermeintlichen Rabatten, die sich bei genauerer Betrachtung als irreführend herausstellten.
  • Verkaufstaktiken, die Zeitdruck erzeugten, wie Countdown-Timer und Hinweise auf angeblich fast ausverkaufte Artikel.
  • Unzureichende Informationen zu den Anbietern hinter den Produkten, was zu Intransparenz führte.
  • Marketing-E-Mails mit manipulativen Formulierungen, die den Eindruck von Dringlichkeit erzeugten.

Diese Praktiken führten zu einem Vertrauensverlust bei Schweizer Konsumenten und zogen die Aufmerksamkeit der Wettbewerbsbehörden auf sich.

Praktische Auswirkungen und Empfehlungen

Für Unternehmen im Schweizer E-Commerce bedeutet dieser Fall:

  • Lauterkeitsrecht gilt grenzüberschreitend: Auch internationale Plattformen müssen sich an Schweizer Standards halten.
  • Transparenz statt Täuschung: Vollständige Informationen fördern das Vertrauen.
  • Seriöses Marketing: Druckaufbau durch Designelemente oder Wortwahl kann rechtliche Risiken bergen.

Für Konsumenten bedeutet dies einen besseren Schutz vor irreführender Werbung und manipulativen Verkaufspraktiken.

Was Unternehmen aus dem Fall Temu lernen können

  • Preisangaben dokumentieren und nachvollziehbar darstellen
  • Verkäuferinformationen klar und transparent bereitstellen
  • Designelemente prüfen: Keine künstliche Verknappung oder Druckaufbau
  • Marketing-E-Mails neutral und sachlich formulieren
  • AGB regelmässig auf nationale rechtliche Anforderungen anpassen

Fazit und Ausblick

Der Fall Temu zeigt exemplarisch, wie nationale Behörden auch im globalen E-Commerce für Fairness sorgen können. Für internationale Anbieter bedeutet dies eine klare Botschaft: Wer in der Schweiz tätig ist, muss sich an Schweizer Recht halten.

Quellen