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Der Beibringungsgrundsatz ist einer der elementaren Prozessmaximen im Zivilverfahren. Danach ist es grundsätzlich Aufgabe jeder einzelnen Partei die für sie günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen. Was ich behaupte, muss ich also im Notfall auch beweisen können.

Dies kann unter anderem dann zu Schwierigkeiten führen, wenn sich die jeweiligen Beweise nicht in den eigenen oder öffentlich zugänglichen Dokumenten, sondern allein in den Händen des Prozessgegners befindet.

Um die Beweisführung dennoch zu ermöglichen hat der Gesetzgeber in § 421 ZPO die Möglichkeit eines Vorlegungsantrags eröffnet. Befinden sich Urkunden, mit denen ein Beweis geführt werden soll, in den Händen des Gegners, kann der Beweis nach § 421 ZPO dadurch angetreten werden, indem beantragt wird, dass dem Gegner die Vorlage der Urkunde aufgegeben wird.

I. Voraussetzungen

1. Erfordernisse an die Antragstellung

§ 424 Zivilprozessordnung (ZPO) listet die einzelnen Kriterien für die erfolgreiche Stellung eines Antrags im Sinne des § 421 ZPO auf. Gem. § 424 Nr. 1 und Nr. 3 ZPO müssen die äußeren Merkmale der Urkunde so genau wie möglich beschrieben werden. Hierunter zählen Merkmale wie der Aussteller, Ort und Datum der Ausstellung und der Inhalt der Urkunde. Zudem wird verlangt, dass die Tatsachen bezeichnet werden müssen, die durch die Urkunde bewiesen werden sollen. Dies dient dem Gericht zur Beurteilung der Beweiserheblichkeit (§ 425 ZPO). Zudem muss der Antrag gem. § 424 Nr. 4 ZPO die Tatsachen beinhalten, welche zu der Annahme führen, dass die Urkunde in den Händen des Gegners ist, sodass bloße Behauptungen über den Besitz des Gegners nicht ausreichen. Zuletzt ist der Grund, also der materiell rechtliche Anspruch, für die Verpflichtung zur Vorlegung der Urkunde zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 424 Nr. 5 ZPO).

2. Urkunde in den Händen des Prozessgegners

Gegenstand der Beweisführungspflicht können nach dem Wortlaut der Norm lediglich Urkunden sein:

Eine Urkunde ist eine sinnlich wahrnehmbare Verkörperung einer rechtserheblichen Gedankenäußerung in Schriftzeichen, z.B. Verträge, Testamente oder Wertpapiere.

Auch wenn elektronische Dokumente wie PDFs oder andere Dateien nicht als Urkunde, sondern als Augenscheinobjekt im Sinne des § 371 ZPO klassifiziert werden, kann sich ein Antrag auf Vorlage durch den Gegner auch auf solche Beweise beziehen, § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Die Urkunde ist „in den Händen des Gegners“, wenn sie sich in dessen unmittelbaren oder mittelbaren Besitz befindet oder aber wenn der Gegner selbst einen Herausgabeanspruch gegenüber einem Dritten hinsichtlich der Urkunde hat. Die bloße, abstrakte Möglichkeit des Gegners sich tatsächlichen Besitz zu verschaffen reicht dafür jedoch nicht aus.

4. Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch

Der Antrag alleine genügt natürlich nicht allein um den Gegner auch die gewünschte Vorlage aufzuerlegen. Erforderlich ist auch ein darüberhinausgehender Vorlageanspruch nach § 422 ZPO oder eine Vorlagepflicht aus § 423 ZPO.

a. Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch

Gem. § 422 ZPO ist der Gegner dann zur Vorlage verpflichtet, wenn der Antragsteller die Herausgabe oder Vorlage der Urkunde aufgrund eines bürgerlichen Rechtes verlangen kann. Gemeint sind hiermit aller Normen des materiellen Privatrechts, d.h. vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – solche aus dem BGB. Diese Pflichten können sich beispielsweise aus

 

  • der Rechenschaftspflicht nach § 259 BGB;
  • der Pflicht zur Rückgabe eines Schuldscheins nach § 371 BGB;
  • dem Kontrollrecht eines Gesellschafters aus § 716 BGB;
  • dem Recht zur Einsicht in Urkunden bei rechtlichem Interesse aus § 810 BGB; oder
  • dem Auskunftsrecht bei Markenrechtsverletzung aus § 19 MarkenG

ergeben.

Insbesondere der Antrag nach § 421, 422 ZPO in Verbindung mit § 810 BGB kann im Prozess ein erfolgversprechendes Mittel in der Beweisführung sein. Voraussetzung für ein Recht aus § 810 BGB ist ein rechtliches Interesse an der Einsicht und das Vorliegen einer der folgenden drei Fälle:

  1. Errichtung der Urkunde im Interesse des Vorlegungsberechtigten, also wenn die Urkunde dazu bestimmt war, dem Beweisführer als Nachweis zu dienen;
  2. Beurkundung eines Rechtsverhältnisses;
  3. Urkunde über Verhandlungen einschließlich der vor- und nachfolgenden Korrespondenz.

Es reicht nicht aus, dass der Antragsteller auf Grundlage vager Vermutungen Einsicht in die Urkunde verlangt, um hieraus Anhaltspunkte für den Prozess zu gewinnen. Für die Begründung des rechtlichen Interesses müssen hinreichend bestimmte Anhaltspunkte vorliegen, die auf den Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Urkunde und dem Rechtsverhältnis hinweisen, zu dessen Klarstellung die Einsicht verlangt wird. Durch dieses Erfordernis soll der missbräuchlich Versuch einer unzulässigen Ausforschung verhindert werden. Außerdem muss die Urkunde und dessen Inhalt genau bezeichnet sein, sodass beispielsweise nicht Einsicht in ganze Akten beantragt werden kann. (BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 24 f. )

5. Vorlegungspflicht wegen Bezugnahme

Neben der rein materiell rechtlichen Vorlegungspflicht im Sinne des § 422 ZPO kann sich auch eine prozessuale Vorlegungspflicht aus § 423 ZPO ergeben, die nicht selten ungenutzt bleibt.

Sie besteht dann, wenn der Gegner im laufenden Prozess auf eine in seinem Gewahrsam befindliche Urkunde zur Beweisführung Bezug genommen hat. Dies  setzt voraus, dass der Beweisgegner auf die Urkunde hinweist und sie zu Beweiszwecken nutzen will, wobei eine Nutzung als eigenes Beweismittel nicht zwingend erforderlich sein dürfte. Nicht ausreichend ist es hingen, wenn die Gegenseite lediglich zur  Ergänzung oder Erläuterung seines Tatsachenvortrages auf die Urkunde hingewiesen hat ohne seine eigene Argumentation damit zu begründen. Im Falle einer Bezugnahme kann sich der Beweisgegner zudem nicht auf eine unzulässige Ausforschung beziehen, da kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse mehr besteht. Er hat schließlich selbst auf die Urkunde zur Beweisführung im Zusammenhang mit dem jeweiligen Verfahren gebracht.

II. Folgen der Nichtvorlegung durch den Gegner

Weigert sich der Prozessgegner die Urkunde  vorzulegen, obwohl das Gericht sie angeordnet hat, greift der Grundsatz des Verbots der Beweislastvereitelung. Folge dessen ist, dass im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch das Gericht entweder die Abschrift einer Urkunde als Beweis anerkannt werden kann oder – falls keine Abschrift vorgelegt wird – die Behauptungen des Beweisführers als bewiesen angenommen werden können, § 427 ZPO.