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Der BGH hat in seinem Urteil vom 13.7.2022 entschieden, dass beim Online-Kauf von Eintrittskarten über eine Vorverkaufsstelle, welche als Kommissionärin des Veranstalters handelt, kein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB besteht. Es greift im vorliegenden Fall die Ausnahmeregelung des § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB.

Hintergrund

Dem Urteil liegt ein Rechtsstreit um die Rückerstattung des Entgelts für Eintrittskarten zu einer Veranstaltung, die auf Grund der COVID-19-Pandemie abgesagt wurde, zugrunde. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Ticketsystemdienstleisterin (Vorverkaufsstelle), welche ein Internetportal betreibt, über welches Eintrittskarten für eine Vielzahl von Veranstaltungen erhältlich sind. Am 16. Dezember erwarb der Kläger über das Internetportal der Beklagten vier Eintrittskarten zum Preis von insgesamt 756, 46 EUR. Es handelte sich dabei um Eintrittskarten für eine Musicalaufführung, dessen Veranstalterin die S. mbH war und die am 18. April in Hamburg stattfinden sollte. Da die Veranstaltung abgesagt wurde, begehrte der Kläger von der Beklagten die Erstattung des Ticketpreises, was diese ablehnte. Seinerseits lehnte der Kläger, die Ihm von der Veranstalterin angebotenen, Wertgutscheine ab.

Die Entscheidung des BGH

 Der BGH entschied, dass dem Kläger der gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch in Höhe von 756, 46 EUR nebst Zinsen nicht zusteht.

Rechtskauf im Sinne von § 453 BGB

 Im Rahmen seiner Entscheidung stellte der BGH fest, dass zwischen den Parteien ein Rechtskauf gemäß § 453 Abs. 1, §§ 433 ff. BGB zustande gekommen sei. Die Beklagte, als Vorverkaufsstelle, habe dabei als Kommissionärin der Veranstalterin im eigenen Namen und auf deren Rechnung gehandelt (§ 382 HGB). Die Vertragliche Leistungspflicht sei hierbei nicht die Durchführung der Veranstaltung, sondern lediglich die Verschaffung des Besitzes und des Eigentums an der Eintrittskarte, die das Recht des Kunden auf Zutritt zu der Veranstaltung als sogenanntes kleines Inhaberpapier im Sinne des § 807 BGB verbriefe. Alleinige Verpflichtung der Beklagten sei daher die Übereignung (§§ 929 ff. BGB) der Eintrittskarte gewesen, welche diese auch erfüllt habe. Die Veranstalterin als Ausstellerin der Karten sei ab diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die von dem Kläger gebuchte Veranstaltung durchzuführen und ihm hierzu die Teilnahme zu gewähren (§§ 807, 793 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insofern hafte für die Unmöglichkeit der Durchführung der Veranstaltung allein die Veranstalterin und nicht die Beklagte. Auch sei, nach Auffassung des BGH, dadurch, dass sich die Beklagte nach Absage der Veranstaltung um die Übersendung von Wertgutscheinen gekümmert habe, keine (nachträgliche) Erweiterung ihrer Vertragspflichten eingetreten.

Kein Widerrufsrecht

Nach Auffassung des Gerichtes liege dem zugrundeliegenden Fall zwar ein Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB zugrunde. Allerdings greife hier die Ausnahmeregelung des § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB. Danach besteht das Widerrufsrecht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, unter anderem nicht bei Verträgen zur Erbringung weiterer Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht. § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB setzt Art. 16 Buchst. l der Verbraucherrechte-Richtlinie (Richtlinie 2011/83/EU; ABl. 2011, L 304, S. 64) um und ist demnach richtlinienkonform auszulegen. In diesem Zusammenhang verweist der BGH auf eine Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 31.3.2022, Az. C-96/21), in der ebenfalls gegen die als Kommissionärin handelnde Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des Ticketpreises nach pandemiebedingter Absage eines Konzerts geltend gemacht wird. Der EuGH hatte hier auf Vorlage des Amtsgerichts Bremen (AG Bremen, Beschluss vom 08.01.2021, Az. 19 C 277/20) über folgende Frage zu entscheiden: Ist Art. 16 Buchst. I der Verbraucherrechte-Richtlinie dahingehend auszulegen, dass es für einen Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts genügt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher gegenüber nicht unmittelbar eine Dienstleistung im Zusammenhang mit Freizeitbestätigungen erbringt, sondern dem Verbraucher ein Zutrittsrecht zu einer solchen Dienstleistung verkauft? Der EuGH stellte fest, dass die in Art. 16 Buchst. I der Verbraucherrechte-Richtlinie vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht einem Verbraucher entgegengehalten werden kann, der mit einem Vermittler, der im eigenen Namen, aber für Rechnung des Veranstalters einer Freizeitbestätigung handelt, einen Fernabsatzvertrag über den Erwerb eines Zutrittsrechts zu dieser Betätigung geschlossen hat, sofern

  • zum einen das Erlöschen der Verpflichtung gegenüber dem Verbraucher zur Erfüllung des Vertrags im Wege des Widerrufs gemäß Art. 12 Buchst. a der Verbraucherrechte-Richtlinie dem Veranstalter der betreffenden Betätigung das Risiko in Verbindung mit der Bereitstellung der hierdurch frei gewordenen Kapazitäten auferlegen würde und
  • zum anderen die Freizeitbetätigung, zu der dieses Recht Zutritt gewährt, zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum stattfinden soll.

Diese Voraussetzungen sollen vorliegend, nach Auffassung des Gerichtes, gegeben sein. Der im eigenen Namen für Rechnung der Veranstalterin geschlossene Kaufvertrag zwischen der Beklagten und dem Kläger habe das Zugangsrecht zu einer auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Freizeitbestätigung – einem Musical – zum Gegenstand und sei somit als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 16 Buchst. I der Verbraucherrechte-Richtlinie und dementsprechend als von § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB erfasst anzusehen.

Darüber hinaus stellt das Gericht fest, dass dem Kläger auch dann kein Widerrufsrecht zustehen würde, wen die Beklagte ihn entgegen Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht darüber informiert hätte, dass ihm ein Widerrufsrecht nicht zustehe. Die fehlende Information über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht führe nämlich nicht zum Entstehen eines Widerrufsrechts. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 356 Abs. 3 BGB – so das Gericht. Für die zugrundeliegende Konstellation einer fehlenden Belehrung über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht treffe § 356 Abs. 3 BGB keine Regelung.

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Nach Auffassung des Gerichtshofes bestehe kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Ticketpreises wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Der Käufer könne von der Vorverkaufsstelle bei einer pandemiebedingten Absage einer Veranstaltung die Rückzahlung des Ticketpreises nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage verlangen, wenn ihm der Veranstalter als Ersatz für den Ausfall einen Wertgutschein nach Art. 240 § 5 EGBGB angeboten habe. Die Annahme des Angebots des Veranstalters auf Ersatz eines – später auszahlbaren – Wertgutscheins sei dem Käufer in der Regel zumutbar.

(BGH, Urteil vom 13.7.2022, Az.: VIII ZR 317/21).