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Nachdem das Bundesgericht im Urteil Viagogo I vom 1. Dezember 2020 auf die Klage des Bundes bzw. des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO) nicht eintrat, bestätigte es nun im Urteil Viagogo II vom 27. Oktober 2021 die Klage des Zirkus Knie teilweise und qualifizierte diverse Praktiken des umstrittenen Ticketvermittlers Viagogo als unlauter.

Klage des Zirkus Knie gegen Viagogo

Viagogo (Beklagte und Beschwerdeführerin) bot auf seiner Webseite Tickets für Zirkusvorstellungen des Zirkus Knie (Klägerin und Beschwerdegegnerin) an. Die Webseite enthielt eine Übersicht über die nächsten Vorstellungen des Zirkus Knie, wobei Viagogo einige dieser Veranstaltungen als „ausverkauft“ kennzeichnete, obschon für jene Vorstellung beim Zirkus Knie selbst noch Tickets erhältlich waren.

Auch beim Bestellvorgang hat Viagogo einige unlautere Praktiken eingebaut. Unter anderem wurde während des Bestellprozesses mehrmals der Hinweis „Nur noch 43 Tickets übrig“ eingeblendet. Bei der Sitzplatzauswahl verwendete Viagogo sodann Sitzplatzkategorien, die der Zirkus Knie so gar nicht vorgesehen hatte und verwendete einen Sitzplan, der ebenso wenig dem tatsächlichen Sitzplan von Zirkus Knie entsprach. Der Kunde konnte damit Tickets auswählen, die so im Hinblick auf die Bezeichnung und den Standort gar nicht existierten. Nach der Sitzauswahl wurde dem Nutzer mitgeteilt, dass er z.B. nur noch 9.5 oder 6 Minuten Zeit habe um die Tickets zu kaufen. Danach wurde dem Nutzer ein Countdown eingeblendet. Während des Countdowns gab es immer wieder Hinweise bzw. Vermerke folgender Art: „2 Personen sind der Warteschlage beigetreten“, „Bitte beachten Sie, dass diese Tickets möglicherweise nicht mehr zu diesem Preis verfügbar sein werden, wenn Sie ihren Einkauf abbrechen“, „Es besteht eine hohe Nachfrage an diesen Tickets! Falls du diese nicht erwerben willst, gebe sie für andere Käufer frei.“, sowie ein roter Balken, welcher die vermeintlich bereits ausverkauften Bereiche festhielt.

Auch der Preis wurde nicht immer klar angezeigt. Während des ganzen Bestellprozesses war der Preis immer nur ganz links in einer Spalte in kleiner, hellgrauer Schrift ersichtlich. Um den Bestellprozess abzuschliessen musste man auf der Seite mehrmals nach unten scrollen und auf das Feld „Weiter“ klicken. Sobald der Nutzer aber nach unten scrollte, wurde der Preis von Hinweisen überdeckt. Auch stand ebenfalls in kleiner, hellgrauer Schrift, dass sich der Preis exklusive Bearbeitungsgebühr (zzgl. MWST) und Buchungsgebühr (zzgl. MWST) verstehe. Auch wenn der Nutzer die Lieferart wählen musste, wurde zwar eine «Bearbeitungsgebühr (zzgl. MWSt)» erwähnt, diese wurde jedoch beim weiterscrollen sofort wieder «abgedeckt». Die Höhe der «Buchungsgebühr» wurde indes nicht genannt, der Countdown bliebt hingegen. Als der Nutzer sodann die Zahlungsart wählen musste, wurde zwar ein «Ticketpreis» und eine «Bearbeitungsgebühr (zzg. MWSt)» genannt, nicht jedoch eine Buchungsgebühr. Wurde mit der Kreditkarte bezahlt, fand man nebst dem «Ticketpreis» und der «Bearbeitungsgebühr (zzgl. MWSt)» nun auch die «Buchungsgebühr (plus MWSt)» sowie einen «Gesamtpreis». Der Nutzer wurde schliesslich gebeten die Zahlungsdetails zu bestätigen. Auch auf dieser Abschlussseite erschien der Countdown. Da der Nutzer auf der Seite nach unten scrollen musste, um das Feld «Einkauf bestätigen» anzuklicken, wurden die einzelnen Preiskomponenten und der zu bezahlende Gesamtbetrag wieder «abgedeckt» (vgl. E. A.c.).

Daraufhin reichte der Zirkus Knie Klage gegen Viagogo ein und stützte sich hierbei insb. auf die Generalklausel in Art. 2 UWG und auf den Spezialtatbestand nach Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG. Gem. Art. 2 UWG ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren unlauter und widerrechtlich, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst. Unlauter nach Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG handelt sodann, wer über sich, seine Firma, seine Geschäftsbezeichnung, seine Waren, Werke oder Leistungen, deren Preise, die vorrätige Menge, die Art der Verkaufsveranstaltung oder über seine Geschäftsverhältnisse unrichtige oder irreführende Angaben macht (E. 3.2 ff.)

Kennzeichnung als „ausverkauft“

Das Bundesgericht stützte die Auffassung des Handelsgerichts, wonach der durchschnittliche Nutzer den Hinweis „ausverkauft“ dahingehend versteht, dass auf herkömmlichen Vertriebskanälen keine Tickets für jene Vorstellung mehr erworben werden können. Dies nicht zuletzt auch aufgrund des Umstandes, dass Viagogo selbst damit wirbt, dass auf ihrer Plattform Tickets von offiziell bereits ausverkauften Veranstaltungen noch erworben werden können. Offengelassen hat das Bundesgericht allerdings, unter welchen Bezugspunkt in Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG die Kennzeichnung als „ausverkauft“ subsumiert werden soll. Denn irreführend, im Sinne einer Diskrepanz zwischen der subjektiven Vorstellung des Nutzers und der Realität (E. 3.4), sei diese Kennzeichnung allemal. Das unlautere Vorgehen von Viagogo trägt dazu bei, dass Nutzer ohne Preisvergleiche zum schnellen Kauf von noch nicht ausverkauften Tickets gedrängt werden (E. 5.2.3).

Unzutreffender Sitzplan und Sitzplatzkategorien

Auch bei Frage, inwiefern der falsche Sitzplan und die anderslautende Sitzplatzkategorisierung unlauter seien, bestätigte das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz. Dieser Umstand führte dazu, dass die Angebote von Viagogo nicht mit denjenigen von Zirkus Knie selbst vergleichbar seien. So wurden Kunden Tickets der beiden günstigsten Preiskategorien mit dem Nennwert von CHF 76.00 (zwei Mal CHF 38.00) auf Viagogo hingegen für CHF 325.77 verkauft. Viagogo täuschte die Kunden damit über die Sitzkategorie und die Lage des Sitzplatzes (E. 6.1). Viagogo seinerseits bestritt die Fehlerhaftigkeit nicht, warf allerdings die Frage auf, inwiefern dies irreführend sein soll.

Nach der Auffassung des Bundesgerichts ergibt sich die Unlauterkeit vielmehr aus der fehlenden Vergleichbarkeit. Durch das Angebot von in Realität inexistenten Sitzplatzkategorien werden potentiellen Kunden jegliche Möglichkeit genommen die Angebote zu vergleichen und eine allenfalls günstigere Option zu suchen. Viagogo verhinderte damit bewusst Markttransparenz und läuft damit in wettbewerbsrelevanter Weise einem lauterkeitsrechtlichen Grundsatz zuwider, der auch Art. 3 Abs. 1 lit. b und i UWG zugrunde liegt (E. 6.3).

Unlauterer Bestellprozess

Letztendlich wich das Bundesgericht auch im letzten Punkt betreffend die unlautere Gestaltung des gesamten Bestellprozesses nicht von der Auffassung der Vorinstanz ab. Durch den auf dem Bildschirm erscheinenden Countdown und die zahlreichen Hinweise, wird dem Kunden ein geringes Angebot bei grosser Nachfrage suggeriert, ohne dabei zu erwähnen, dass es sich dabei ausschliesslich um verfügbare Tickets bei Viagogo handelt (E. 7.1).

Viagogo vertrat vor Bundesgericht die Auffassung, die relevante Rechtsfrage laute vorliegend, ob es sich beim Bestellprozess um eine aggressive Verkaufsmethode im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. h UWG handle. Folglich versuchte sie darzulegen, weshalb ihren Verkaufsmethoden die Aggressivität abgehe. Viagogo verkannte allerdings, dass Art. 3 Abs. 1 lit. b und h UWG an einem unterschiedlichen Verhalten anknüpfen. Lit. h erfasst auch Sachverhalte, bei denen ein Anbieter mit an sich wahren und klaren Angaben operiert. Dafür wird aber eine psychologische Zwangslage vorausgesetzt. Bei lit. b wird hingegen keine solche Zwangslage verlangt, sondern eine Täuschung, die beim potenziellen Vertragspartner zu einer Fehlvorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse führt (E. 7.4). So kam auch das Bundesgericht zum Schluss, dass die Webseite von Viagogo über ein wettbewerbsbezogenes Irreführungspotential verfügte und deshalb das lauterkeitsrechtliche Klarheitsgebot gemäss Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG verletzte.

Des Weiteren behauptete Viagogo, die Vorinstanz impliziere, dass es nicht rechtskonform sei den Gesamtpreis erst am Ende des Bestellprozesses einzublenden. Das Bundesgericht wies jedoch darauf hin, dass die Vorinstanz ausdrücklich festhalte, es genüge, wenn der Gesamtpreis am Ende des Bestellprozesses genannt wird, sofern der Nutzer hinreichend Zeit habe, um den Preis zu studieren.

Viagogo machte sodann geltend, dass der Umstand, dass der Gesamtpreis beim Scrollen verdeckt werde, kein unlauteres Verhalten darstelle, da ja der Nutzer selbst nach unten scrolle, womit der Preisüberblick in seiner Kontrolle bleibe. Auch diese Argumentation liess das Bundesgericht nicht gelten, da Viagogo hierbei verkannte, dass zum einen der Gesamtpreis kompliziert sowie unklar berechnet und andererseits der Nutzer unter erheblichen Zeitdruck gesetzt wurde. Die Webseite lenkt damit von der Tatsache ab, dass der Preis in einem letzten Schritt erheblich erhöht wurde und drängt den Nutzer mittels Zeitdruck die Bestellung abzuschliessen (E. 7.5.3.).

Folglich verschärft der Countdown den Druck auf den Nutzer mit dem Ziel ihn zu einem allenfalls ungünstigen Vertragsschluss zu verleiten. In den unklaren Preisangaben zusammen mit dem Entscheidungsdruck liegt letztlich eine Verletzung des im Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG verankerten Klarheitsgebots vor (E. 7.1).

Fazit

Das Bundesgericht hat damit die Beschwerde von Viagogo in allen drei strittigen Punkten abgewiesen. Das Urteil verdeutlicht dabei, dass bei Werbung mit Verfügbarkeitsangaben Vorsicht geboten ist und die Verfügbarkeit auf anderen Kanälen berücksichtigt werden muss.

Indes kann man dem Urteil nicht entnehmen, dass nun grundsätzlich detaillierte Preisangaben erst am Schluss eines Bestellprozesses aufgeführt werden müssten, solange der Nutzer hinreichend Zeit für den Abschluss der Bestellung habe. Eine solche Aussage kann höchstens der Vorinstanz zugewiesen werden. Die wenigen Ausführungen des Bundesgerichts zu Preisangaben sind denn auch stets in Kombination mit dem Countdown zu sehen. Fraglich bleibt sodann, wie ein Einsatz von Countdowns im Bestellprozess alleine vom Bundesgericht beurteilt und ob dies als aggressive Verkaufsmethode Kunden gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. h UWG in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflussen würde.

 

Lesen Sie hierzu das Urteil des Bundesgerichts.