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Das Bundesgericht beschäftigt sich im Urteil vom 11. Juli 2023 (4A_372/2022) mit der Auslegung von Klauseln allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) innerhalb eines Vertragsverhältnisses rund um Softwarelösungen. Das Urteil erstaunt, da das Bundesgericht zum einen aus eigener Initiative eine AGB-Kontrolle vornimmt und zum anderen, da es zwei Klauseln für ungültig erklärt und folglich die Ungewöhnlichkeitsregel auch im B2B-Verhältnis anwendet.

Der Sachverhalt des vorliegenden Bundesgerichtsentscheides umschreibt den Disput zwischen eines IT-Unternehmens und ihrer Kundin. Die Parteien haben im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mehrere Verträge rund um die Entwicklung, Bereitstellung und Wartung einer Softwarelösung durch das IT-Unternehmen abgeschlossen, wobei diese jeweils durch spezifische AGB des IT-Unternehmens ergänzt wurden.

Die Kundin kündete die Verträge schliesslich fristlos mit der Begründung, dass das IT-Unternehmen das Budget erhebliche überschritt und die Software Sicherheitslücken aufwies. Hierbei machte sie auch Schadenersatzansprüche von CHF 3 Mio. geltend. Das IT-Unternehmen wiederum reichte Klage unter anderem auf Zahlung unbezahlter Rechnungen von CHF 90‘000 sowie einer Konventionalstrafe in Höhe von CHF 110’000 ein.

Beiden Forderungen des IT-Unternehmens stützten sich dabei auf den vereinbarten Art. 6 der AGB. Dieser statuiert, dass Rechnungen des IT-Unternehmens innert 30 Tagen mittels eingeschriebenen Briefs mit Rückschein beanstandet werden müssen, ansonsten die Rechnung als genehmigt gilt. Sodann wird die Kundin zur Bezahlung einer Konventionalstrafe verpflichtet, wenn sie den Vertrag aus welchem Grund auch immer beendet, sofern dem IT-Unternehmen kein Verschulden zukommt.

Die Kundin hat die Forderungen des IT-Unternehmens bis vor Bundesgericht bestritten, hierbei jedoch niemals die Gültigkeit der betreffenden AGB-Klausel im Lichte der Ungewöhnlichkeitsregel in Frage gestellt. Umso erstaunlicher ist es, dass das Bundesgericht die AGB-Kontrolle von Art. 6 der vereinbarten AGB aus eigener Initiative vornahm.

Das Bundesgericht erinnert zunächst daran, dass standardisierte Klauseln, welche für eine grosse Zahl von Vertragsbeziehungen anwendbar sind, keinen normativen Wert besitzen. Solche Klauseln müssen ausdrücklich in die Vereinbarung aufgenommen werden, um Geltung zu beanspruchen. Sodann verweist das Gericht auf die Ungewöhnlichkeitsklausel, welche besagt, dass die pauschale Zustimmung von AGB nicht für ungewöhnliche Klauseln gilt, auf deren Existenz die schwächere oder geschäftlich unerfahrene Partei nicht besonders aufmerksam gemacht wurde. Der Verfasser von AGB-Klauseln muss nach dem Vertrauensprinzip damit rechnen, dass sein unerfahrener Vertragspartner solchen Klauseln, die unerwartet oder atypisch sind, nicht zustimmt.

Obschon eine Anwendung der Ungewöhnlichkeitsregel auf B2B-Settings nicht per se ausgeschlossen ist, ist sie ihrem Sinn und Zweck nach auf Konstellationen ausgelegt, in denen es eine schwächere und geschäftsunerfahrene Partei vor ungewöhnlichen Klauseln zu schützen gilt. Dies darf in der Regel auf Verhältnisse zwischen Unternehmen und Konsumenten oder Arbeitnehmenden zutreffen. Im vorliegenden Urteil hebt das Bundesgericht jedoch hervor, dass die Ungewöhnlichkeitsregel nicht nur auf Fälle beschränkt sei, in denen sich eine starke und schwache Partei gegenüberstehen. Vielmehr genügt es, wenn der Vertragspartner des AGB-Verwenders mit einer bestimmten Branche und deren Usanzen nicht vertraut sei. Eine Klausel, die in einem Wirtschaftszweig üblich ist, kann dabei für jemanden, der sich nicht in diesem Wirtschaftszweig bewegt, als ungewöhnlich erscheinen.

Im vorliegenden Fall erachtet das Bundesgericht den Art. 6 AGB, wonach die Kundin innerhalb von maximal 30 Tagen mittels Einschreiben mit Rückschein Einspruch gegen die in Rechnung gestellten Leistungen erheben kann, als unüblich. Sie beeinträchtige die Rechtsstellung der Kundin erheblich. Wenn sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist reagiert, wird sie gezwungen, die als anerkannt geltenden Rechnungen zu bezahlen. Damit weicht diese Regelung erheblich vom gesetzlichen System ab, das höchstens den offensichtlichen Missbrauch eines Rechts verbietet und keine solche kurze Einsprachefrist unter Androhung des Rechtsverfalls vorsieht. Auch die zweite Regelung in Art. 6 AGB, wonach die Kundin im Falle einer Kündigung eine Pauschalentschädigung schulde, erachtet das Bundesgericht als ungewöhnlich. Denn auch diese beeinträchtigt die Rechtsstellung der Kundin erheblich und weicht stark von der gesetzlichen Regelung ab.

Zu diesem Schluss gelangte das Bundesgericht deshalb, weil das IT-Unternehmen auf Informatik spezialisiert und daher mit den Besonderheiten von IT-Verträgen vertraut sei, wohingegen ihre Kundin lediglich eine Software für den Betrieb ihrer Unternehmen benötigte. Da es keine Hinweise darauf gibt, dass die Kundin in irgendeiner Weise auf die ungewöhnlichen Klauseln in Art. 6 AGB aufmerksam gemacht worden wäre, können diese der Kundin auch nicht entgegengehalten werden. Folglich zeigt der vorliegende Entscheid auch, dass die Hürde der Ungewöhnlichkeit nicht unerreichbar hoch ist, zumal das Bundesgericht ja auch berücksichtigte, dass die Kundin, obschon nicht aus der IT-Branche, doch zumindest eine Geschäftskundin war.

Quellen