Direkt zum Inhalt wechseln

Das Bundesgericht hat mit dem Urteil 6B_1360/2021 vom 7. April 2022 eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg abgewiesen. Die zuständige Staatsanwaltschaft wollte die Verurteilung einer Person, auf deren Facebook-Pinnwand Dritte rassistische Kommentare hinterlassen hatten, erreichen. Der Betroffene wurde vorinstanzlich freigesprochen, die Staatsanwaltschaft beantragte jedoch vor Bundesgericht die Verurteilung wegen Rassendiskriminierung i.S.v. Art. 261bis StGB. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, da ein Inhaber einer Facebook-Pinnwand zu keiner strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann, wenn er keine Kenntnis von diesen Beiträgen hat. Sobald Kenntnisnahme besteht, wird auch die Strafbarkeit begründet.

Auf der Facebook-Seite einer politisch aktiven Person wurden mehrere rassistische Kommentare von Dritten gepostet, nachdem der Kontoinhaber einen Zeitungsartikel auf seinem Profil veröffentlichte.

Die geposteten Äusserungen enthielten Hass- und Gewaltaufrufe gegenüber Personen aufgrund ihrer Religion. Nach der Identifizierung der Urheber der unangemessenen Kommentare wurden diese wegen Rassendiskriminierung nach Art. 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Juni 2022, SR 311.0, hiernach StGB) verurteilt. Der Inhaber des Facebook-Kontos wurde hingegen nicht verurteilt, sondern sowohl vom erstinstanzlichen, als auch vom zweitinstanzlichen Neuenburger Gericht freigesprochen, woraufhin die Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg Beschwerde an das Bundesgericht einreichte.

Der Straftatbestand der Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis StGB (Diskriminierung und Aufruf zu Hass) umfasst das öffentliche Aufrufen zur Diskriminierung von oder zum Hass gegen Personen oder Personengruppen aufgrund deren Rasse, Ethnie, Religion oder deren sexuellen Orientierung sowie das Verbreiten von Ideologien oder das Organisieren, Fördern oder die Teilnahme von Propagandaaktionen, die darauf abzielen, dass diese Personen bzw. Personengruppen systematisch herabgesetzt oder verleumdet werden. Des Weiteren ist vom Tatbestand der Diskriminierung und Aufruf zu Hass auch das Herabsetzen oder das Diskriminieren von Personen wegen den oben aufgezählten Merkmalen in menschenunwürdiger Art und Weise ebenso wie das Leugnen, Verharmlosen oder das Rechtfertigen von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ebenfalls erfasst ist das Verweigern einer öffentlich angebotenen Leistung für die Allgemeinheit, die einer bestimmten Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung.

Im vorliegenden Fall ist insbesondere der Umstand relevant, dass durch die Kommentare auf der Facebook-Pinnwand öffentlich zu Hass und Diskriminierung gegen Personen einer bestimmten Religion aufgerufen wurde. Fraglich war im Verfahren vor Bundesgericht in diesem Zusammenhang, ob sich der Inhaber des Facebook-Kontos durch das Unterlassen des Entfernens von den rassistischen Kommentaren auf seiner Pinnwand ebenfalls der Rassendiskriminierung strafbar gemacht hat.

Das Bundesgericht nimmt zur Kenntnis, dass es sich beim Betroffenen um eine öffentliche Person handelt, die ihr Facebook-Profil als Diskussionsplattform zur Verfügung stellt. Dies birgt das Risiko, dass heikle Themen angesprochen werden können und dies auch zu unsachlichen und sogar rechtswidrigen Beiträgen führen kann. Der Kontoinhaber hatte von den rassistischen Kommentaren auf seinem Profil jedoch keine Kenntnis. Aus diesem Grund trifft ihn aus der Sicht des Bundesgerichts keine strafrechtliche Verantwortung. Strafrechtlich relevant werden die Inhalte jedoch dann, wenn der Betroffene Kenntnis von der Publikation dieser Kommentare hat und diese bewusst nicht von seiner Pinnwand entfernt.

Ausserdem bringt die Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg vor, dass dem Inhaber des Kontos eine pflichtwidrige Untätigkeit gemäss Art. 11 StGB vorgeworfen werden könne. Eine Straftat kann nicht nur durch aktives Handeln begangen werden, sondern auch durch pflichtwidriges Unterlassen. Ein pflichtwidriges Unterlassen besteht insbesondere in Fällen, in denen eine Person bei der Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes untätig bleibt, obwohl die Person anhand ihrer Rechtstellung zum Eingreifen verpflichtet gewesen wäre. Zusätzlich muss für eine Verurteilung der untätig gebliebenen Person der gleiche Vorwurf gemacht werden können, wie wenn sie die Tat aktiv ausgeführt hätte. Gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts besteht jedoch keine Pflicht zur Überwachung eines Social-Media-Kontos, da dies zu einer umfassenden Sorgfaltspflicht führen würde. Diese Überwachungspflicht für Beiträge auf der Pinnwand würde zu einer kaum vorhersehbaren und subjektiven Beurteilung führen. Diese Überwachungs- bzw. Sorgfaltspflicht kann nicht zu einer Strafe gemäss Strafgesetzbuch führen, da sie nicht gesetzlich vorgesehen ist. Eine Strafe ohne gesetzliche Grundlage zu verhängen, verstösst gegen das Legalitätsprinzip von Art. 1 StGB und ist deshalb nicht zu unterstützten. Zudem besteht im schweizerischen Recht keine Norm, in der die Verantwortlichkeit von Internetdienstleister oder deren Nutzer geregelt ist, weshalb sich die Staatsanwaltschaft auf die Prinzipien des Strafrechts bezieht.

In einem anderen Bundesgerichtsentscheid (Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar 2020, 6B_1114/2018) hat das Bundesgericht die strafrechtliche Verantwortung erheblich ausgeweitet. Darin wird dem Beschwerdegegner vorgeworfen, eine Person als rassistisch, antisemitisch und menschenfeindlich bezeichnet und diese Beschuldigungen auf verschiedenen Facebook-Seiten veröffentlicht zu haben. Weiter hat er mehrmals ähnliche Beiträge mit «Gefällt mir» markiert und einen weiteren Beitrag geteilt.

Konkret wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, sich aufgrund der soeben aufgezeigten Handlungen der üblen Nachrede (Art. 173 StGB) schuldig gemacht zu haben. Den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, wer jemand anderen eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt oder ihm andere Tatsachen vorwirft, die seinen Ruf schädigen können, ihn eines solchen Handelns beschuldigt oder verdächtigt oder wer diese Vorwürfe weiterverbreitet. Das Bundesgericht erklärt, dass der Vorwurf ehrverletzend sei, dass eine Person Sympathien für den Nationalsozialismus habe. Einer Verurteilung wegen übler Nachrede kann sich der Beschwerdeführer entziehen, wenn er beweisen kann, dass die von ihm weiterverbreitet Aussage wahr ist oder er triftige Gründe hatte, die Aussage für wahrheitsgemäss zu halten. Vom Entlastungsbeweis ist jedoch ausgeschlossen, wenn kein begründeter Anlass für die Äusserung bestand und wenn die Absicht besteht, dem von der Aussage Betroffenen zu schaden.

Die Beschwerde wurde in diesem Fall gutgeheissen. Das Markieren mit «Gefällt mir» war dabei ein unterstützendes Kriterium, da es eine Weiterverbreitung des Beitrags darstellt. Diese Handlungen unterstützten damit auch die Sichtbarkeit eines Beitrags auf Social Media und das Weiterverbreiten von Botschaften, die sich als üble Nachrede gemäss Art. 173 StGB qualifizieren, ist ein eigenständiger Tatbestand des Delikts, das ebenfalls strafbar ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Bundesgericht die Ansicht vertritt, dass für einen Facebooknutzer keine erhöhten Überwachungs- oder Sorgfaltspflicht bzgl. Kommentare von Drittpersonen besteht, wenn er Beiträge auf seiner Pinnwand postet und die Plattform zum politischen Diskurs verwendet. Die Gerichte sind insbesondere im Strafrecht stark an das Legalitätsprinzip gebunden, d.h. es können nur Strafen für Delikte ausgesprochen werden, die im Strafgesetzbuch sanktioniert werden. Er kann deshalb insbesondere nicht für die hinterlassenen Kommentare von Dritten strafbar gemacht werden, wenn er keine Kenntnis von den widerrechtlichen Aussagen hat. Anders würde sich die Situation präsentieren, wenn rechtswidrige Kommentare weiterverbreitet werden oder wenn sich der Betroffene bewusst ist, dass solche Kommentare bestehen und diese dementsprechend auf seinem Profil toleriert.