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Das EU-Parlament baut Verbraucherrechte weiter aus: Mit zwei Richtlinien will die EU die Rechte bei Verträgen über digitale Inhalte und im Warenhandel harmonisieren und den europäischen Digitalmarkt weiter stärken. Beide Vorhaben sind Teil der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“, dessen Ziel es ist, die nationalen digitalen Märkte zu einem gemeinsamen europäischen Markt zusammenzuführen. Der Europäische Binnenmarkt stellt eine zentrale Säule der Europäischen Union dar. Das leuchtet ein, denn im digitalen Binnenmarkt schlummert laut EU ein Umsatz-Potential von 415 Milliarden Euro pro Jahr für die Europäische Wirtschaft, ganz zu schweigen von der Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze. Mit einer Richtlinie „über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen“ werden nun Online-Güter und -Dienstleistungen in den Blick genommen – mit erheblichen Auswirkungen für Gewährleistungspflichten von Unternehmern.

Ziel: Vollharmonisierung

Insgesamt 16 Initiativen umfasst die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt, die bereits im Mai 2015 vorgestellt wurde. Die Europäische Kommission verfolgt damit drei grundlegende Ziele:

  • Besserer Online-Zugang für Verbraucher/innen und Unternehmen zu Waren und Dienstleistungen in ganz Europa;
  • Schaffung der richtigen Bedingungen für florierende digitale Netze und Dienste;
  • Bestmögliche Ausschöpfung des Wachstumspotentials der europäischen digitalen Wirtschaft.

Ende letzten Jahres war im Zuge dessen bereits die Geoblocking-Verordnung (das Härting-Webinar zu den Auswirkungen der Verordnung kann hier nachgehört werden) in Kraft getreten, die ungerechtfertigte Diskriminierung bei Online-Käufen auf Grundlage der Staatsangehörigkeit, des Wohnortes oder des Ortes der Niederlassung innerhalb des Binnenmarkts beenden soll.

Weitere konkrete Schritte hat das Europäische Parlament nun am 26. März 2019 eingeleitet und zwei Richtlinien zur Verbesserung des Verbraucherschutzes beim Warenkauf und beim Erwerb digitaler Inhalte verabschiedet. Grund für die schnelle Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament sind wohl auch die am 26. Mai 2019 anstehenden Europawahlen. In den letzten Monaten ihres Mandats will die Kommission noch einige Ergebnisse liefern.

Im Vordergrund steht dabei vor allem die Richtlinie „über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen“ (Digital-RL), die nach ihrem Art. 4 vollharmonisierend angelegt ist: Die EU-Mitgliedstaaten dürfen in ihren nationalen Rechtsordnungen in Bereichen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, weder verbraucherfreundlichere noch -feindlichere Regeln vorsehen – ein umstrittener Ansatz, denn die Integration solcher Vorgaben in die gewachsenen nationalen Privatrechtsordnungen ist aufwendig und mühsam.

Anwendungsbereich

Neu ist der Ansatz der Richtlinie, vertragliche Pflichten ohne eine bestimmte Vertragstypologie vorzunehmen. Auf eine Einordnung der Verträge etwa in Kauf-, Werk- oder Mietverträge wird ganz verzichtet, die Richtlinie stellt allein auf den Vertragsgegenstand ab. Unterschieden wird zusätzlich nach einmaligen und laufzeitbezogenen Verträgen. In den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen damit alle Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern

  • über die Bereitstellung digitaler Inhalte (z.B. Apps, Software, E-Books),
  • über digitale Dienstleistungen (einschließlich Cloud Computing und Social Media),
  • sowie über digitale Inhalte, die auf körperlichen Datenträgern bereitgestellt werden.

Anwendungsvoraussetzung ist außerdem eine Gegenleistung des Verbrauchers. Als Gegenleistung kommt klassischerweise ein monetäres Entgelt in Betracht, zukünftig aber auch – und das ist neu – gem. Art. 3 Digital-RL zusätzlich personenbezogene Daten. Werden personenbezogene Daten vom Anbieter jedoch ausschließlich für die Bereitstellung der digitalen Inhalte verarbeitet oder erfüllt der Anbieter damit rechtliche Anforderungen – werden die personenbezogenen Daten also nicht kommerziell genutzt – findet die Richtlinie keine Anwendung.

Was wird geregelt?

Geregelt wird insbesondere, wann der digitale Inhalt vertragsgemäß ist, wer die Beweislast hierfür trägt und welche Gewährleistungsrechte der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit innerhalb welcher Frist geltend machen kann. Dabei unterscheidet die Richtlinie zwischen Ansprüchen wegen Nichtleistung (Art. 13) und Ansprüchen aufgrund Schlechtleistung (Art. 14), die in der Richtlinie als „Vertragswidrigkeit“ bezeichnet wird.

Die Art. 5 – 9 der verabschiedeten Richtlinie stellen dafür einen umfassenden Katalog an Kriterien zur Bestimmung der Vertragsmäßigkeit auf, die sich aus einem Zusammenspiel von subjektiven (Art. 7) und objektiven (Art. 8) Anforderungen ergeben. Berücksichtigt werden nach Art. 8 Abs. 1 lit. b der Richtlinie auch „öffentliche Erklärungen“, etwa in Form von Werbung des Unternehmers.

Dem Verbraucher stehen in Folge der „Vertragswidrigkeit“ eine Reihe von Gewährleistungsrechten zur Seite. So hat der Verbraucher gem. Art 14 ein Recht auf Nacherfüllung, Preisminderung oder Beendigung des Vertrags. Hat gar keine Bereitstellung der vertraglichen Leistung stattgefunden, ist der Verbraucher gem. Art. 13 ebenfalls zur Beendigung des Vertrags berechtigt.

Brisant für Unternehmer ist die neue Dauer der Mängelhaftung, die auf mindestens zwei Jahre ausgeweitet wird. Bislang wird im deutschen Recht beim Verbrauchsgüterkauf vermutet, ein Mangel habe bereits bestanden, wenn dieser innerhalb von sechs Monaten nach Lieferung bzw. Gefahrübergang „offenbar“ wird. Die Haftung für solche Mängel verlängert Art. 11 Abs. 2 Digital-RL nun zugunsten des Verbrauchers auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Bereitstellung – ohne dem Verbraucher eine Pflicht zum Nutzungs- oder Wertersatz aufzuerlegen. Außerdem soll eine Beweislastumkehr zu Lasten des Anbieters für ein Jahr nach Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen gelten.

Umsetzung in nationales Recht

Fraglich ist, wie die Richtlinie zukünftig in nationales Recht umgesetzt wird. Das BGB enthält – wenn auch versteckt in § 312f Abs. 3 BGB – bereits Regelungen zu Verträgen über digitalen Inhalte inklusive Legaldefinition. Die Voraussetzungen der Richtlinie gehen aber über die bisherigen Regelungen hinaus. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht wird wohl zu einem vom allgemeinen Vertragsrecht des BGB abweichenden Recht für Verträge über digitale Inhalte führen.

Nicht zuletzt wegen der fehlenden Differenzierung nach Vertragstypen wird die Umsetzung der Richtlinienvorschriften in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kompliziert – schließlich ist die Einordnung etwa in Kauf-, Werk- oder Werklieferungsvertrag oder Miet- oder Dienstvertrag von erheblichem Einfluss auf das anzuwendende Mängelgewährleistungsrecht.

Unverhältnismäßige Belastung des Handels?

Kritik kommt u.a. von Handelsverbänden und anderen Interessenvertretern: Die ohnehin schon sehr weitgehenden EuGH-Rechtsprechung zur Beweislastumkehr – bei Sachmängeln im Verbrauchsgüterkauf (vgl. EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Az. C-497/13) – werde noch weiter ausgebaut und setze falsche Anreize für den Verbraucher, noch kurz vor Ende der Gewährleistungszeit eigentlich nicht gerechtfertigte Mängelrügen zu erheben. Dies führe zu einer übermäßigen Belastung der Wirtschaft (s. etwa DAV-Stellungnahme 90/16). Auch die neue Update-Pflicht aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie wird kritisch gesehen.

Der Unternehmer hat aber das Recht zur Nacherfüllung: Bei Vertragswidrigkeit hat er zunächst die Möglichkeit, nachzubessern oder Ersatz zu liefern. Erst auf einer zweiten Stufe kann der Verbraucher einen Preisnachlass verlangen oder den Vertrag beenden (Art. 14 Digital-RL).

Fazit

Die Mitgliedstaaten haben ab Inkrafttreten nun zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Für den Einzelhandel und andere Unternehmen werden die Neuregelungen weitreichende Folgen haben. Unternehmer sollten ihre Verträge mit Verbrauchern sowie ihre Geschäftsmodelle zeitnah auf die geplanten Vorschriften hin überprüfen.