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Wer in der Schweiz einen universitären Medizinalberuf selbständig ausübt, untersteht der Berufsgeheimnispflicht nach Massgabe der einschlägigen Bundesgesetzes über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz, MedBG) vom 23. Juni 2006, (Stand am 1. Januar 2022, SR 811.11) enthaltenen Vorschriften. Eine eventuelle Entbindung vom Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 Ziff. 2 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Juni 2022, StGB, SR 311.0) muss durch eine Bewilligung der zuständigen Behörde erfolgen. Die vorgenannte Bestimmung enthält jedoch keine Kriterien für die Erteilung bzw. Verweigerung der Bewilligung. In dieser Entscheidung hatte das Verwaltungsgericht die Interessen der Beteiligten in einem Fall abzuwägen, in dem eine Witwe Einsicht in die Krankenakte ihres verstorbenen Mannes beantragte.

Die Beschwerdeführerin – die Witwe des Verstorbenen – ersuchte um Herausgabe sämtlicher Krankenakten bzgl. der Behandlung des Verstorbenen. Sie verlangte die Akten aus der Zeit unmittelbar vor dem Tod des Ehemannes zwischen dem 8.-10. Mai 2021 im Kantonsspital. Die behandelnden Ärzte wendeten sich an das kantonale Gesundheitsdepartement des Kantons St. Gallen, das als erste Instanz über die Entbindung des Berufsgeheimnisses von im Medizinalbereich tätigen Personen entscheidet.

Die fragliche Behandlung hatte kurz vor dem Tod des Ehemannes stattgefunden. Auf Ersuchen des zuständigen Gesundheitsdepartements wird von Seiten der Beschwerdeführerin genauere Ausführung über die Gründe vorgebracht, aus denen sie Einsicht in die medizinischen Akten über die Behandlung des Verstorbenen beantragt hat. Die Witwe des Verstorbenen vermutet konkret, dass den behandelnden Ärzten Behandlungsfehler unterlaufen seien.

Obwohl die Witwe behauptete, es bestehe Grund zur Annahme, dass die Ärzte bei der Behandlung des Verstorbenen Behandlungsfehler begangen hätten, teilte das Gesundheitsdepartement am 23. Juli 2021 in einer Verfügung mit, dass die Ermächtigung zur Auskunftserteilung und Aktenherausgabe nicht erteilt werde. Begründet wurde die Verweigerung der Auskunft bzw. die Aktenherausgabe damit, dass die erforderlichen Voraussetzungen für die Befreiung vom Berufsgeheimnis im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien.

Gegen diese Verfügung wurde am 6. August 2021 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen erhoben. In diese Gelegenheit wurde vom Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin unter anderem verlangt, dass die Einsicht in die Krankenakten der SPO Patientenorganisation, St. Gallen zu gewähren sei. Mittels Rechtsbegehren wird beantragt, die Verfügung des Gesundheitsdepartements vom 23. Juli 2021 aufzuheben, das Gesuch um Entbindung vom ärztlichen Berufsgeheimnis gutzuheissen und die Ärzte zur Herausgabe der Krankenakten und Auskunftserteilung zu ermächtigen.

Am 27. November 2021 hielt das Gesundheitsdepartement als Vorinstanz in einer Eingabe an das Verwaltungsgericht fest, sie habe die Entbindung vom Berufsgeheimnis aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt der Verfügung zu Recht verweigert. Dennoch wurde es als glaubhaft erachtet, dass die Beschwerdeführerin Einsicht in die Krankengeschichte des Verstorbenen benötigt, um Haftpflichtansprüche abzuklären. Auf diesen Grund wird dem Eventualbegehren der Beschwerdeführerin von Seiten des kantonalen Gesundheitsdepartements zugestimmt. Die Weitergabe der medizinischen Unterlagen an die Beschwerdeführerin selbst, wurde von der Vorinstanz jedoch weiterhin verweigert.

Darüber hat das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen erläutert, dass eine Person, die in der Schweiz einen universitären Medizinalberuf selbständig ausübt, der Berufsgeheimnispflicht nach Massgabe der in Art. 40 lit. f MedBG enthaltenen Vorschriften untersteht. Diese gesetzliche Normierung legt insbesondere fest, dass Personen, die einen universitären Medizinalberuf in eigene Verantwortung ausüben, bestimmte Berufspflichten einzuhalten haben. Zu diesen Berufspflichten gehört unter anderem auch das Berufsgeheimnis. Die Strafbarkeit des Geheimnisträgers entfällt, wenn eine ausdrückliche Zustimmung bzw. Einwilligung in die Offenbarung des Geheimnisses vorliegt (vgl. Art. 321 Abs. 2 StGB). Für eine gültige Einwilligung bzw. ein gültiger Verzicht auf das Geheimnis ist es notwendig, dass der Patient urteilsfähig ist und vor der Erteilung der Einwilligung über die relevanten Umstände Kenntnis hat und die Einwilligung freiwillig erteilt wird.

Die Frage des Berufsgeheimnisses erstreckt sich auf verschiedene Bereiche des Rechts. Das Arztgeheimnis entspringt dem Anspruch auf Privatsphäre, der in Art. 13 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 13. Februar 2022, BV, SR 101) garantiert wird. Das Arztgeheimnis hat zum Zweck, die Geheimsphäre des einzelnen Patienten zu schützen und auch die öffentliche Gesundheit zu erhalten. Die öffentliche Gesundheit wird erhalten, indem es einem Patienten ermöglicht wird, sich einem Arzt anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen, dass der Arzt mit Dritten über die ihm anvertrauten Geheimnisse spricht. Aus strafrechtlicher Sicht ist das Berufsgeheimnis durch Art. 321 StGB gewahrt. Nach Art. 321 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Geheimnis verrät, das ihm in Ausübung seines Berufes anvertraut worden ist oder von dem er in Ausübung dieses Berufes Kenntnis erlangt hat. Bemerkenswert ist, dass das Berufsgeheimnis nicht nur während der Berufsausübung gewahrt werden muss, sondern ein Verstoss dagegen auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder des Studiums strafbar ist. Die einzigen möglichen Konstellationen, unter denen eine Befreiung vom Berufsgeheimnis denkbar ist, sind in Art. 321 Abs. 2 StGB aufgeführt und sehen vor, dass er aufgrund der Zustimmung des Berechtigten oder aufgrund einer schriftlichen Ermächtigung gehandelt hat, die entweder von der übergeordneten Behörde oder von der Aufsichtsbehörde auf Antrag der an das Berufsgeheimnis gebundenen Person erteilt wurde. Nur unter diesen Umständen ist die Offenbarung eines Berufsgeheimnisses zulässig und nicht strafbar.

Äusserst wichtig sind jedoch auch die zivilrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit dem Berufsgeheimnis, einschliesslich des Datenschutzrechts und dem Schutz der Persönlichkeit des Patienten (vgl. Art. 28 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (Stand am 1. Juli 2022, ZGB, SR 210). Insbesondere der Persönlichkeitsschutz ermöglicht es dem Patienten, sich mit seinem Arzt unter Wahrung der Geheimhaltung zu beraten, und stellen sicher, dass diese Geheimhaltung auch nach dem Tod des Patienten gewahrt bleibt, damit seine Familie nichts von den zu Lebzeiten getroffenen Vereinbarungen erfährt. Art. 28 Abs. 2 ZGB kann nur gegenüber Privatpersonen, jedoch nicht gegenüber dem Staat oder öffentlich-rechtlichen Körperschaft geltend gemacht werden. Dementsprechend gilt das Arztgeheimnis auch nach dem Tod des Patienten weiterhin. Nur ausnahmsweise kann es aufgehoben werden, wenn die Offenlegung der Krankenakten durch ein überwiegendes privates Interesse gerechtfertigt werden kann. Die Angehörigen und Erben müssen dieses Interessen nachweisen.

In diesem Fall äusserte sich die Beschwerdeführerin ausführlich zu ihren Gründen für die Anforderung der Krankenakte des Verstorbenen. Der Verdacht eines Behandlungsfehlers seitens der Ärzte sollte an sich schon als ausreichendes privates Interesse angesehen werden. Fraglich bleibt jedoch die Fähigkeit eines Beschwerdeführers, allein auf der Grundlage der Krankengeschichte zu beurteilen, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt.

Wie das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid ausgeführt hat, muss im Rahmen einer Interessenabwägung berücksichtigt werden, dass das Berufsgeheimnis an sich ein gewichtiges Rechtsgut ist. Daher dürfen im Zusammenhang mit einer Befreiung vom Berufsgeheimnis nur die Informationen freigegeben werden, die für den konkreten Fall und unter Berücksichtigung der Interessen des Geheimnisherrn erforderlich sind. Welche Informationen in welchem Umfang weitergegeben werden dürfen, ist eine Entscheidung der zuständigen Behörde. Die Frage stellt sich beispielsweise, wenn ein Arzt seine eigenen Forderungen gegenüber einem Patienten durchsetzen muss (vgl. BGE 2C_215/2012 E. 5.2.).

Deshalb – so das Gericht – war das persönliche Interesse der Witwe an eine Bekanntgabe der Informationen aus den Krankenakten des Verstorbenen im Zeitpunkt der Antragstellung und des Erlasses der angefochtenen Verfügung plausibel. Die Beschwerde ist somit in Aufhebung der Verfügung vom 23. Juli 2021 gutzuheissen. Die Ärzte sind von ihrem Berufsgeheimnis in Bezug auf der Zeit vom 8. bis 10. Mai 2021 zu entbinden. Was die Vorinstanz zu Recht als problematisch erkannt hat, ist die Tatsache, dass die Unterlagen den geschützten Raum des Berufsgeheimnisträgers verlassen müssen, wenn die vollständige Krankenakte an die Angehörigen herausgegeben wird. Diesbezüglich wurde die Beschwerde gutgeheissen und der SPO Patientenorganisation St. Gallen Einsicht in die Krankenakten des verstorbenen Patienten gewährt.

Aus dieser Entscheidung geht eindeutig hervor, wie wichtig der Schutz der persönlichen Daten des Patienten ist, was bei der Entbindung von der Schweigepflicht des Berufsgeheimnisträgers sorgfältig abgewogen werden muss. Auffallend ist jedoch, dass ein persönliches Interesse, das per se als überwiegend zu betrachten sei, einen Antrag auf Einsicht in die Krankenakten eines verstorbenen Angehörigen nicht legitimiert, wenn er nicht mit einem Antrag auf Einsicht in die Krankenakten durch eine fachlich kompetente Person einhergeht. Aufgrund Fehlen einer gesetzlichen Grundlage scheint diese persönliche Voraussetzung des Antragsstellers stossend zu sein, wenn es in Bezug auf die Erteilung der Bewilligung beeinträchtigt. Das persönliche Interesse eines Verwandten sollte nicht durch fachliche Unzulänglichkeit entwertet werden.