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Mit dem Inkrafttreten der revidierten Vertikalbekanntmachung (VertBek) der Wettbewerbskommission (WEKO) per 1. Januar 2023 haben Unternehmen nun ein Jahr Zeit, ihren Vertrieb den neuen Regelungen anzupassen. Neben Erleichterungen für die Gestaltung von Vertriebssystemen sieht die neue VertBek jedoch bei Preisempfehlungen strengere Regelungen als die EU vor.

Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Marktstufen, z.B. zwischen Herstellern und Detailhändlern, sind regelmässig anzutreffen und können die Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette erhöhen. Grundsätzlich unzulässig sind hingegen Vereinbarungen wie Preisbindungen und Abschottungen des schweizerischen Marktes. Die WEKO und die europäische Wettbewerbsbehörde zeigen auf, welche Verhaltensweisen erlaubt sind und welche nicht. Die WEKO veröffentlicht hierzu die Vertikalbekanntmachung VertBek inkl. Erläuterungen, die EU die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung inkl. Vertikalleitlinien (Vertikal-GVO).

Die WEKO hat nun die VertBek 2010, welche sich an die europäische Vertikal-GVO von 2010 anlehnt, revidiert. Anstoss dafür gab der Umstand, dass die EU im Jahr 2022 ihre Vertikal-GVO inkl. deren Vertikalleitlinien revidierte. Die WEKO hat folglich mit Beschluss vom 12. Dezember 2022 ihre neue VertBek sowie deren Erläuterungen verabschiedet. Damit wird sichergestellt, dass im Bereich der vertikalen Abreden grundsätzlich die gleichen Regeln wie in der EU zur Anwendung kommen. Darüber hinaus wird auch die jüngste schweizerische Rechtsprechung und Praxis berücksichtigt.

Angelehnt an die Vertikal-GVO werden Unternehmen mehr Gestaltungsmöglichkeiten für ihre Vertriebssysteme gestattet. So ist gemäss Art. 4 VertBek neu auch ein geteilter Alleinvertrieb möglich, wonach die Anbieterin ein Gebiet oder eine Kundengruppe an bis zu fünf Abnehmerinnen exklusiv zuweisen kann. Erweiterte Schutzmöglichkeiten für Allein- bzw. Selektivvertriebe sehen auch die Bestimmungen in Art. 15 VertBek vor, wonach nun auch eine Kombination von Allein- und Selektivvertriebssystemen in unterschiedlichen Gebieten möglich ist. Ebenfalls können Aktivverkaufsverbote innerhalb eines Vertriebssystems neu auch auf tiefere Vertriebsebenen wie den Kunden der Händler auferlegt werden.

Sodann sieht die VertBek auch Anpassungen beim dualen Vertrieb vor, welche sich an der Vertikal-GVO orientieren. Wenn eine Anbieterin ihre Produkte nicht ausschliesslich über unabhängige Händler, sondern parallel dazu auch selbst über ein eigenes Vertriebsnetz vertreibt, fällt der Informationsaustausch zwischen den dualen Vertriebspartnern gemäss Art. 10 Abs. 3 VertBek neu nur noch dann in den Anwendungsbereich der VertBek, wenn der Informationsaustausch entweder direkt die Umsetzung der vertikalen Wettbewerbsabrede betrifft oder zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs erforderlich ist. Dieses Privileg gemäss Art. 10 Abs. 4 VertBek gilt aber nicht für hybride Online-Plattformen, wenn also die Anbieterin der Online-Vermittlungsdienste eine Wettbewerberin auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen ist.

Gemäss Art. 15 lit. e VertBek sind nun bestimmte Beschränkungen von Online-Verkäufen oder Online-Werbung als qualitativ schwerwiegende Wettbewerbsabrede zu qualifizieren, wie namentlich Verbote ganzer Arten von Online-Werbekanälen wie Suchmaschinen oder Preisvergleichsdienste. Hingegen sind Beschränkungen betreffend die Nutzung bestimmter Online-Verkaufskanäle sowie Doppelpreissysteme, wonach die Abnehmerin für online verkaufte Produkte einen anderen Grosshandelspreis bezahlt als für offline verkaufte Produkte, grundsätzlich unbedenklich.

Im Vernehmlassungsentwurf zu den Erläuterungen noch nicht vorgesehen, enthalten die revidierten Erläuterungen zur VertBek nun die bereits in der EU eingeführte Erleichterung für bestimmte vertikale Wettbewerbsverbote. Demnach gelten gemäss Art. 15 Bst. g VertBek Wettbewerbsverbote als qualitativ schwerwiegend, wenn ihre Dauer unbestimmt ist oder fünf Jahre überschreitet. Unproblematisch sind dagegen neuerdings Wettbewerbsverbote, die stillschweigend über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus verlängert werden können, sofern die Abnehmerin die vertikale Vereinbarung mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten wirksam neu aushandeln oder kündigen kann.

Während die europäische Vertikal-GVO Umstände festhält, in welchen Preisbindungen zweiter Hand zulässig erscheinen, hält die WEKO an der strengeren Schweizer Praxis bei vertikalen Preisabreden fest. Damit trägt die revidierte VertBek auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Preisempfehlungen im sog. Hors-Liste-Medikamente Urteil Rechnung. Bei der Preisbindung zweiter Hand handelt es sich um vertikale Wettbewerbsabreden betreffend die Festsetzung von Mindest- und Festpreisen (vgl. Art. 12 VertBek). Nun wird in Art. 4-9 der Erläuterungen der VertBek explizit festgehalten, dass bereits eine «besonders intensive Kommunikation der Preisempfehlung» ohne zusätzlichen Druck oder Anreize die notwendige Abstimmung für eine unzulässige Preisbindung zweiter Hand ergeben. Namentlich kann eine solche Abstimmung bereits vorliegen, wenn beispielsweise Preisempfehlungen von Lieferantinnen wiederholt in die Kassensysteme von Wiederverkäuferinnen elektronisch übermittelt werden. Die Voraussetzungen für eine unzulässige Preisbindung zweiter Hand sind damit von der WEKO tief angesetzt. Die strengere Praxis gegenüber der EU ist wohl damit zu begründen, dass die Schweiz seit jeher als Hochpreisinsel gilt und daher Preisabreden den Binnenmarkt Schweiz empfindlich treffen können.

Schliesslich weist die revidierte VertBek mehrere Anlehnungen an die neuen Regelungen der EU auf, jedoch sind auch einige Schweizer Besonderheiten zu beachten. Dies hat zur Folge, dass auch künftig Verträge mit Auswirkungen auf den Schweizer Binnenmarkt die strikteren Schweizer Regeln beachten müssen. Die Konformität nach europäischem Recht reicht hierfür nicht aus. Wir raten den Unternehmen deshalb, ihre Verträge rechtzeitig während der einjährigen Übergangsfrist zu prüfen und an die neuen Regelungen anzupassen.

 

Quellen