Direkt zum Inhalt wechseln

Im Insight vom 5. Dezember 2021 haben wir diverse Problemfelder der Videoüberwachung thematisiert. Unter anderem die Videoüberwachung an privaten Orten, im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz, in Garderoben und Toiletten und die Videoüberwachung mittels sog. Dashcams. Der nachfolgende Beitrag ist als Vertiefung betreffend die Videoüberwachung am Arbeitsplatz zu verstehen.

Arbeitsrechtliche Perspektive

Unternehmen tendieren immer häufiger dazu ihre Angestellten mittels technischer Überwachungsmassnahmen an ihrem Arbeitsplatz zu überwachen. Dies führt dazu, dass sich die betroffenen Personen kontrolliert und unter Druck gesetzt fühlen. Aus unternehmerischer Perspektive ist Vorsicht geboten, denn eine solche Überwachung kann insb. die Privatsphäre und die Persönlichkeit der Angestellten verletzen.

 

Vorab kann festgehalten werden, dass Überwachungsmassnahmen seitens Arbeitgeber lediglich zwecks Kontrolle der Angestellten generell untersagt sind. So sind Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz überwachen sollen, grundsätzlich nicht erlaubt. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Bestimmung zum Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden, Art. 328 des Obligationenrechts (OR, SR 220), und aus Art. 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3, SR 822.113). Solche Überwachungs- und Kontrollsysteme dürfen lediglich ausnahmsweise eingesetzt werden und nur, wenn sie aus anderen Gründen erforderlich sind (z.B. Videoaufzeichnungen zu Schulungszwecken).

 

Sodann muss der Arbeitgeber ein tatsächliches Bedürfnis nachweisen können, weshalb ein bestimmtes Kontrollsystem erforderlich sein soll. Er hat bei der Auswahl, Installation und Ausgestaltung des Überwachungssystems insbesondere darauf zu achten, dass die Privatsphäre, Persönlichkeit und Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmenden möglichst minimal beeinträchtigt wird. Darüber hinaus muss sich der Arbeitgeber selbstredend auch an die geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen halten (hierzu gleich mehr).

 

Die Grenzziehung zwischen zulässiger Überwachung aufgrund eines tatsächlich nachgewiesenen Bedürfnisses des Arbeitsgebers und verbotener Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmenden gestaltet sich in der Praxis als schwierige Gratwanderung, welcher mit einer spezifischen Einzelfallbeurteilung begegnet werden muss. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bereits triviale Massnahmen wie beispielsweise elektronische Badges für den Zugang zum Unternehmen, die Erfassung der Ein- und Austrittszeit oder die automatische Aufzeichnung der Fahrten von Firmenwagen zwecks wirtschaftlicher Optimierung der Routen rechtlich als Überwachungssystem zu qualifizieren sind. Auf der anderen Seite können als tatsächliche Bedürfnisse für eine solche Überwachung ebenso triviale Alltagserscheinungen, wie die Vermeidung von Diebstahl, Spionage, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Angriffe auf Angestellte oder eben wirtschaftliche Prozessoptimierung aufgeführt werden. Auf beiden Seiten befinden sich legitime Gründe die für oder gegen eine Überwachung sprechen, die es allerdings gegeneinander abzuwiegen gilt. Wie einschneidender die Überwachungsmassnahmen auf die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmenden wirken, desto erheblicher müssen die Gründe des Arbeitgebers erscheinen. Wenn möglich sind durch den Arbeitgeber immer weniger einschneidende Alternativen zu wählen. So können zum Beispiel Videoaufnahmen auf einzelne kritische Bereiche im Unternehmen oder mittels technischen Massnahmen (z.B. Masking) eingeschränkt werden. Die Überwachung kann insbesondere dann als verhältnismässige Massnahme angesehen werden, wenn sie nur nachträglich oder mittelbar erfolgt und nicht dauerhaft ist.

 

Datenschutzrechtliche Perspektive

Werden durch eine Überwachungsmassnahme Personendaten bearbeitet, so ist der Arbeitgeber auch angehalten die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes (DSG, SR 235.1) und der Datenschutzverordnung (DSV, SR 235.11) zu berücksichtigen. Datenschutzrechtlich verhält es sich im Prinzip ähnlich wie im Bereich des Arbeitsrechts. Werden aufgrund der Überwachungsmassnahme die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmenden verletzt, so bedarf es gem. Art. 31 Abs. 1 DSG einen Rechtfertigungsgrund. Dieser kann in Form eines überwiegenden privaten oder öffentlichen Interesses bestehen. Die Einwilligung des Arbeitnehmenden sollte nur zurückhaltend als Rechtfertigungsgrund angesehen werden, da aufgrund des arbeitsrechtlichen Subordinationsverhältnisses regelmässig nicht von einer freien Entscheidung ausgegangen werden kann.

 

Weiter muss die Datenbearbeitung dem Grundsatz von Treu und Glauben, dem Öffentlichkeitsprinzip und dem Verhältnismässigkeitsprinzip genügen (Art. 6 Abs. 2 und 3 DSG). In diesem Zusammenhang ist die vorgängige Information an die Arbeitnehmenden zentral. Es empfiehlt sich die Überwachung in einem eigens dafür erstellen Reglement zu beschreiben. Auch muss der Arbeitgeber aufzeigen können, dass die technische Überwachung verhältnismässig ist, d.h. er muss nachweislich abgeklärt haben, ob das Ziel mit milderen Mitteln nicht ebenso hätte erreichet werden können.

 

Praxisbeispiele

In einem Fall, welcher mit Urteil vom 5. November 2012 vom Bundesgericht beurteilt wurde (vgl. BGE 139 II 7), wurde auf dem Computer eines Beamten heimlich eine Spyware zur Überwachung der Computernutzung installiert. Die Spyware hat in diesem Fall auch tatsächlich ergeben, dass der Beamte sein Computer während 5’863 Minuten von insgesamt 8’297 Minuten Arbeitszeit für private Zwecke ohne jeglichen Zusammenhang mit seiner Arbeit verwendete. Die erstinstanzlichen Richter sowie auch das Bundesgericht kamen in diesem Fall zum Schluss, dass die gesammelten Beweise nicht verwertet werden dürfen, dass die Überwachung mangels tatsächlichem Bedürfnis, nicht rechtmässig war. Das Gericht urteilte, dass der Arbeitgeber mit dem Einsatz dieser Spyware die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers schwerwiegend verletzte. Sobald ein Verdacht besteht, hätte der Arbeitgeber zunächst die Logfiles des Computers des Arbeitnehmers überprüfen und danach den Arbeitnehmer gegebenenfalls zurechtweisen können. Da die Spyware direkt installiert wurde, um Beweise zu sammeln und den Arbeitnehmer ohne Abmahnung zu entlassen, wertet das Gericht, dass das Interesse des Arbeitgebers nicht die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers überwiegen. Somit stellte dies ein Fall der unzulässigen Überwachung zwecks Verhaltenskontrolle dar.

 

Im Entscheid vom 13. Juli 2004 hielt das Bundesgericht fest (vgl. BGE 130 II 425), dass ein GPS-Navigationssystem in einem Firmenwagen als unzulässiges Überwachungssystem zu qualifizieren ist, sofern es einzig darauf abzielt, das Verhalten der Angestellten zu überwachen. Hingegen ist eine solches Überwachungssystem nicht verboten, wenn dafür Rechtfertigungsgründe, wie die Planung und Organisation oder die wirtschaftliche Optimierung der Routenführung, vorgebracht werden können.

 

Entwicklungen

Besondere Vorsicht ist bei Methoden zur Analyse von Personaldaten (People Analytics, HR Analytics oder Workforce Analytics) geboten. Die Methoden dienen dazu, mittels Auswertung unternehmensinterner Daten (Ziele, Ressourcen, Marketing, Vertrieb, Produktivitätsmittel usw.), die Ressourcen einer Organisation besser zu erfassen, ihren Bedarf vorherzusagen oder Leistung zu steigern. Bei solchen Methoden ist ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der arbeits- und datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu legen. Aufgrund des Analysezwecks  ist dem Arbeitgeber deshalb zu empfehlen, die Daten in anonymisierter Form auszuwerten und zu analysieren. Dasselbe gilt bei der Auswertung von Randdaten bei der Nutzung von Internet und E-Mail durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann wählen, ob diese Daten anonymisiert, pseudonymisiert oder in ihrer Originalform analysiert werden sollen. Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist es die Pflicht des Arbeitgebers, die Analyseform entsprechend dem Analyse-Zweck zu wählen. Dabei sollte immer das mildeste Mittel gewählt werden, das zur Erreichung eines legitimen Ziels beiträgt und den geringsten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers bedeutet.

 

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beim Einsatz von technischen Überwachungssystemen am Arbeitsplatz Zurückhaltung angezeigt ist. Überwachungsmassnahmen, die der reinen Verhaltenskontrolle der Angestellten dienen, sind immer unzulässig. Anderenfalls muss man als Arbeitgeber ein tatsächliches Bedürfnis nachweisen können, welches die Persönlichkeitsrechte der Angestellten überwiegt.

Um diese Gratwanderung zu meistern hat das SECO eine Checkliste für den Einsatz von technischen Überwachungsmitteln erstellt, welche als Hilfeleistung bei der Beurteilung herangezogen werden kann.