Kai Möller ist Professor of Law an der London School of Economics (LSE). Er befasst sich rechtsvergleichend mit Menschenrechten.
In dem Gespräch mit Niko Härting geht es um die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht. Warum wird diese Debatte nur in Deutschland und Österreich, nicht jedoch in den anderen europäischen Ländern geführt? Trotz vergleichbarer Impfquoten fordert in Großbritannien niemand eine allgemeine Impfpflicht, niemand fragt andere nach deren „Impfstatus“, niemand regt sich über „unbelehrbare Ungeimpfte“ auf. Wie erklärt sich dieser Unterschied?
In dem Gespräch geht es auch um das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das im 19. Jahrhundert in Deutschland erfunden wurde und seitdem einen Siegeszug bis in das europäische Recht erlebt hat. Das Prinzip hat seine Schwächen, da es letztlich jeden Eingriff in Grundrechte erlauben kann, wenn entgegenstehende Rechte und Interessen ein höheres Gewicht haben. Daher mag das angelsächsische Grundrechtsverständnis vorzugswürdig sein, das weniger auf Abwägungen als auf die Definition von Tabuzonen angelegt ist, die jedweder Abwägung entzogen bleiben. Bei allgemeinen Impfpflichten mag man sich fragen, ob eine solche –körperliche – Tabuzone erreicht wird.