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In der EU ist bereits seit Ende Oktober 2022 der Digital Services Act (DSA) in Kraft. Geltung wird er zwar erst Anfang 2024 erhalten, bereits jetzt ist die Aufregung aber im Zusammenhang insbesondere mit Blick auf Falschnachrichten zum Krieg in Gaza gross. Von dieser Aufregung hat sich scheinbar auch der Bundesrat anstecken lassen. Bis Ende März 2024 sollen das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und das Bundesamt für Justiz (BJ) eine Vernehmlassungsvorlage für eine Plattformregulierung ausarbeiten. Welche Regelungen könnte also ein Bundesgesetz über die Regulierung von Kommunikationsplattformen enthalten und wie könnten diese aussehen?

Vorgegebener Rahmen

In seiner Pressemitteilung vom 5. April 2023 hält sich der Bundesrat weitgehend bedeckt. Eine wichtige Vorgabe macht er allerdings: Wo sinnvoll, soll sich der Gesetzgeber an den Regeln des Digital Services Act (DSA) der EU orientieren. Dies soll folgende Punkte einbeziehen:

  • Kontaktstelle und Rechtsvertreter in der Schweiz
  • Zweistufiges Beschwerdeverfahren bei Löschung oder Sperrung
  • Transparenz bei Werbung
  • Einrichtung einer Meldestelle für Gewalt und Hass

Anhand dieser Punkte lässt sich eine rudimentäre Skizze dieses Gesetzes über die Regulierung von Kommunikationsplattformen zeichnen. Lassen Sie es uns der Einfachheit halber als Schweizer DSA bezeichnen.

Anwendungsbereich eines Schweizer DSA

Das Gesetz soll Kommunikationsplattformen (sog. Intermediäre) regulieren. Hierunter sollen insbesondere Suchmaschinen (Google), soziale Netzwerke (Facebook), Multimedia-Plattformen (YouTube) und Micro-Blogging-Dienste (X, Twitter) fallen. Naheliegend wird hier eine Anlehnung an den Begriff des «Vermittlungsdienstes» im EU-DSA sein. Darunter fallen sämtliche Anbieter im Internet, die Usercontent übermitteln oder den Zugang dazu bereitstellen, das kurzzeitige Speichern solcher Nutzerinhalte zum Zwecke der Übermittlung an andere Nutzer oder das dauerhafte Speichern von Inhalten für einen Nutzer.

Eine Einschränkung dieses sehr weiten unionsrechtlichen Begriffs lässt sich zwischen den Zeilen allerdings bereits erahnen. Ein Schweizer DSA soll lediglich «grosse» Kommunikationsplattformen regulieren. Was hiermit genau gemeint ist, bleibt zwar offen. Allerdings lässt sich daraus wohl schliessen, dass Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen (KMU), nicht unter das Gesetz fallen werden. Dies würde einen ersten grossen Unterschied zum EU-DSA darstellen, der nur punktuell und nur für Kleinstunternehmen Ausnahmen vorsieht und für sehr grosse Plattformen sogar ein erhöhtes Pflichtenprogramm aufstellt. Daraus folgend kann angenommen werden, dass das zukünftige Schweizer Recht wohl keine Stufung von Pflichten für kleine, mittlere und grosse Unternehmen vorsehen wird.

Auch der Schweizer DSA wird mangels Ansässigkeit grosser Kommunikationsplattformen im Gebiet der Eidgenossenschaft extraterritoriale Wirkung entfalten müssen. So wird die Tätigkeitsausübung in einem der Kantone ausreichen, um die Anwendbarkeit zu eröffnen.

Kontaktstelle und Vertreter

Verpflichtend soll die Einrichtung einer zentralen Kontaktstelle sowie eines Rechtsvertreters in der Schweiz werden. Diese Formulierungen sind identisch zum Europäischen Recht. Damit wird die Kontaktstelle Ansprechpartner nicht nur für Behörden sein (vgl. Art. 11 DSA), sondern auch für die Nutzer der Dienste (Art. 12 DSA). Zusätzlich muss ein Rechtsvertreter benannt werden. Da auch der EU-Act hierzu eine «sinnvolle» Ausnahme vorsieht, nämlich bei bereits bestehender Niederlassung in einem Mitgliedstaat, dürfte diese Pflicht dann entfallen, wenn ein entsprechendes Tochterunternehmen bereits auf Bundesgebiet ansässig ist.

Zweistufiges Beschwerdeverfahren

Das Beschwerdeverfahren wird sich vermutlich an den in der EU existierenden Regelungen orientieren. Zumindest legt dies die vorgesehene Zweigliedrigkeit von interner Beschwerde- auf der einen und Schlichtungsstelle auf der anderen Seite nahe. Vermutlich über die bereits angesprochene Kontaktstelle soll es Nutzern somit möglich sein bei Sperrung ihres Profils oder Löschung einzelner Inhalte, eine interne Überprüfung durch die Plattform selbst anzustossen. Erst anschliessend soll es dem betroffenen Nutzer möglich sein eine unabhängige Schichtungsstelle anzurufen.

Die Schlichtungsstelle soll unabhängig sein. Da laut Pressemitteilung ebenfalls vorgesehen werden soll, dass diese von den Kommunikationsplattformen gemeinsam finanziert wird, muss dies neben fachlicher und sachlicher Unabhängigkeit auch personelle Unabhängigkeit bedeuten. Hier scheint sich auch ein Unterschied zur europäischen Lage zu ergeben. Innerhalb der EU soll die Streitbeilegung durch eine auf maximal fünf Jahre zertifizierte «aussergerichtliche Streitbeilegungsstelle» (Art. 21 Abs. 3 UAbs. 1 DSA) erfolgen. Die Medienmitteilung des Bundesrates sieht hingegen die Schaffung einer «Schweizer Schlichtungsstelle» – also einer einzigen und zentralen – vor.

Konkrete (Moderations-)Pflichten

Während somit weitgehend klar ist, unter welchen Voraussetzungen ein Schweizer DSA anwendbar sein wird und welche formalen Anforderungen eine (grosse) Kommunikationsplattform erfüllen muss, schweigt sich der Bundesrat noch weitgehend zu den Moderations- und sonstigen Pflichten aus. Trotzdem lassen sich zwischen den Zeilen schon die ein oder andere verbindliche Regelung erahnen.

Transparenzgebot & Verbot personalisierter Werbung?

Ausdrücklich wird nur die Pflicht zur Kennzeichnung von Werbung als solcher und der Information über die eingesetzten Parameter für die Personalisierung angezeigter Werbung genannt. Dies entspricht Art. 26 und 27 DSA und dürfte somit neben der eigentlichen Kenntlichmachung auch die Information über den oder die Begünstigte:n der Werbung beinhalten. Da das Erkennen eines neutral gehaltenen Posts auch für den Betreiber eines Netzwerkes häufig schwierig sein dürfte, wird die Kennzeichnungspflicht im Schweizer DSA – ähnlich dem EU-DSA – die Pflicht zur Bereitstellung einer Meldefunktion von Inhalten als kommerzielle Kommunikation eines anderen Nutzers der Plattform beinhalten.

Die Pflicht zur Angabe der Parameter zur Werbepersonalisierung wird vermutlich auch in der Schweiz nicht als eine Preisgabe der Algorithmen zu verstehen sein, sondern als die «Kriterien, die für die Bestimmung der Informationen, die dem Nutzer vorgeschlagen werden, am wichtigsten sind» (Art. 27 Abs. 2 lit. a DSA); das würde also beispielsweise die Angabe beinhalten, dass Standort, Geschlecht oder gefolgte Kanäle die angezeigten Werbeinhalte beeinflussen. Ob der Nutzer auch gleich dem Unionsrecht Einfluss auf die ausgespielte Werbung nehmen können soll, bleibt noch offen. Da die Bearbeitung der Profildaten allerdings gleichzeitig datenschutzrechtlich relevant ist und allenfalls sogar nach DSG unterbunden werden kann, wäre eine derartige Ausweitung des Pflichtenprogramms kein erhöhter Eingriff in die Privatautonomie der jeweiligen Unternehmen.

Löschpflichten und Löschungsrecht?

Noch unausgesprochen bleibt eine mögliche Pflicht zur aktiven Löschung von rechtswidrigen Inhalten, wie dies im DSA vorgesehen ist. Da die Unternehmen aber eine Meldestelle für Inhalte mit Gewaltdarstellungen oder «Hassrede» einführen müssen und diese wohl nicht nur als Sammelstelle von potentiell problematischen Inhalten fungieren soll, ohne dass daraus etwas folgt, wird der Schweizer DSA voraussichtlich auch eine Pflicht vorsehen, rechtswidrige oder sonst problematische Inhalte von der Plattform zu entfernen.

Ob hieraus auch ein Recht zur Löschung von Inhalten abgeleitet werden kann, bleibt die Medienmitteilung des Bundesrates noch schuldig. Der EU-DSA sieht dies für Verstösse gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beispielsweise eines sozialen Netzwerkes vor. Mit Blick auf die Privatautonomie der Plattformbetreiber wird eine Löschung in gewissen Schranken – jedenfalls ein Willkürverbot – zulässig sein.

Fazit

Der Schweizer DSA wird eine Gratwanderung zwischen Stärkung der positiven Potentiale von Kommunikationsplattformen und der Eindämmung deren negativer Nebenfolgen vollziehen müssen. Dies hat das BAKOM bereits 2021 in seinem Bericht zu «Intermediäre und Kommunikationsplattformen» festgestellt. Ob dies gelingen wird, werden wir nächstes Jahr sehen.

Quellen